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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 14
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0344
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liest 14 -
aus dem Ton. Ausgesprochen haben Sie sich offen-
bar schon mit Frau Brandt. Halb scheint es, daß
sie Sie gern hat, aber halb scheint es anch wieder,
daß sie nichts von Ihnen wissen will!"
Waldemar stand da wie ein armer Sünder. „Es
ist auch so," gab er tonlos zur Antwort. „Gern
hätte sie mich schon, aber sie kann kein Vertrauen
zu mir fassen. Und nach den Erfahrungen, die sie
mit ihrem ersten Mann gemacht hat —"
„Aha," fiel ihm der Professor ins Wort, und
nun klang wieder die Ironie durch seine Stimme,
„da wolltet: Sie ihr wohl durch das Blausäure-
schlucken zeigen, was Sie trotz alledem für ein
strantmer Kerl wären?"
Waldemar schien den Hohn nicht zu empfinden.
„Es ist ja auch deswegen," entgegnete er leise, „weil
wir beide arm sind. Weil wir nichts haben, womit
wir heiraten könnten, nicht einmal die Mittel zur
Beschaffung der Aussteuer. Mein Vater kann
Mir nichts geben — auch wenn er wollte, könnte
er's nicht. Aber er steht zum Überfluß noch auf
dem Standpunkt, daß es meine Pflicht und Schuldig-
keit gegen die Familie sei, eine reiche Partie zu
machen. Und warten, eine Praxis suchen — Sie
wissen ja, was das heißt!"
Waldemar hatte sich auf das Ruhebett gesetzt
und den müden Kopf in beide Hände gestützt.
Auch Altdorf hatte sich gesetzt. Auf dem Rand
des Tisches hockte er, schwieg und sann.
Was tun? Die Liebe sollte ja Wunder wirken,
sollte ja im stände sein, Charaktere um und um zu
modeln. Er hatte davon gehört, auch wohl Beispiele
erlebt. Einer seiner Studiengenossen, der in jungen
Jahren ein Durchgänger schlimmster Sorte gewesen,
war unter den Händen seiner Frau die Solidität selber
geworden, ein Muster von Gatte und Vater. Ein
anderer, ein Trinker und Spieler, hatte in der Ehe
Alkohol und Karten vergessen gelernt. — Ob's hier
aber wirklich auch die rechte Liebe war, die große,
heilige Kraft, die Wunder wirken konnte? — Jeden-
falls, wenn „Frau Brennessel" diesen Schwächling in
den Zügel kriegte, die bekam es vielleicht fertig, ihn
zur Vernunft zu bringen. Es wäre ein Weg zur Ret-
tung dieser wankenden Existenz — der einzige Weg.
Sie sagten vorhin, Frau Brandt erwidere Ihre
Liebe?"
Waldemar nickte nur.
„Hören Sie mal zu. Ein Freund von mir, ein
Junggeselle, schrieb mir neulich, daß er im Begriff
stände, ein Sanatorium zu gründen, in den bay-
rischen Alpen — reines Naturheilverfahren. Nun
fahndet er auf einen Assistenten, jung und verheiratet,
dessen Frau die Wirtschaftsleitung übernehmen
könnte und mit Kranken umzugehen weiß. Solche
laufen nicht gerade dutzendweise über die Straße. —
Aber," unterbrach er sich ärgerlich, „Sie hören ja
gar nicht zu, Rottenburg!"
„Doch — doch!"
„Also Sie haben ja immer viel für das Natur-
heilverfahren übrig gehabt. Wenn ich Sie in Vor-
schlag brächte? Das heißt" — er schlug mit der
geballten Faust auf den Tisch — „der Henker soll
Sie holen, wenn Sie meiner Empfehlung Schande
machten! Die Mittel zur Anschaffung der Aus-
steuer will ich Ihnen gern vorschießen und Ihre
Spielschuld, die zweitausend, auch bezahlen. Das
Leben ist ja lang — Sie werden's schon abarbeiten.
Und in der Einsamkeit des Hochgebirgs, wo's keine
Verlockungen und Versuchungen gibt, kein Kasino
und keine spielwütigen Kameraden, in der reinen
Höhenluft, und eine Frau an der Seite, wie unsere
liebe ,Brennessel' — weiß der Himmel, es wird
mir sauer genug, sie in der Klinik zu missen — mit
der untersten Hölle müßt's zugehen, wenn Sie sich
da nicht hielten, wenn Sie da oben nicht doch noch
ein Kerl würden!"
Da taumelte Waldemar die paar Schritte zu
ihm herüber, sank auf die Kniee nieder und er-
griff, wie ein Kind schluchzend, seine hernieder-
hängende Rechte mit beiden Händen, versuchte zu
reden, brachte aber kein Wort heraus.
Leise machte Altdorf seine Hand los und strich
dem Knieenden über das wirre Haar. Dann stand
er auf, nahm die beiden Briefe, die noch auf dem
Tisch lagen, riß sie entzwei und steckte die Papier-
schnitzel in die Tasche.
„So," sagte er. „Nachmittags red' ich mit Frau
Brandt und morgen mit Ihrem Vater." Er zog
die Uhr, „Gleich zwei. Jetzt muß ich aber noch
rasch ein paar Stunden schlafen. Wir haben Vor-
mittag drei Blinddarnwperationen. Sie aber, denk'
ich, werden nun vernünftig bleiben."
Mit flüchtigem Kopfnicken ging er hinaus.
Zi'edenles Kapitel. --.
Als der Frühling wieder ins Land zog und seine
bunten Blüten über Hag und Heide streute, trieb
des Obersten v. Rottenburg wrackes Lebensschifflein

— Vas vuch für MIe -
unaufhaltsam dem dunklen Hafen des Todes ent-
gegen.
Eines Spätnachmittags im Mai war Professor
Altdorf wieder einmal bei dem Kranken, der schon
lange keinen Fuß mehr vor den anderen stellen
konnte und nun, in seinem Liegestuhl dicht am
offenen Fenster sitzend, den belebenden Hauch der
sonnenwarmen, von süßen Düften erfüllten Luft
in durstigen Zügen trank. Sein Gesicht erschien
eingefallen und fahlgrau, doch sein Geist war noch
frisch und rege, und seine großen blauen Augen
fahen immer noch in voller Klarheit aus das Spiel
des Lebens um sich her. Jetzt ruhten sie auf den
beiden uralten Apfelbäumen, die ihre von rötlich-
weißen .Blüten schimmernden Äste weithin über
die zartgrünen Rasenflächen des Gartens breiteten.
„Daß sie Früchte tragen, die beiden alten
Knaben, seh' ich dieses Jahr nicht mehr," klang's
leise in schmerzvollem Entsagen, und der Zug des
Grames um den blassen Mund vertiefte sich. „Man
stirbt ja doch so schwer, wenn so viel um einen herum
ist, was man lieb hat: Frau, Kinder, Freunde,
Vaterland und die ganze Erde mit ihrer viel-
gestaltigen, unsagbar wonnigen Frühlingsherr-
lichkeit."
„Nur Mut," sprach ihm Altdorf zu, „ein paar
Wochen noch — dann geht's wieder nach Lieben-
stein."
Rottenburg machte eine abwehrende Bewegung.
„Laß mir nichts mehr einreden, Professor. Nur —
meine Frau soll's nicht wissen, wie schlecht es steht.
Die erfährt's immer noch zu früh."
Altdorf schwieg und nagte an seiner Unterlippe.
Er hätte so gern gesprochen von dem, was ihm das
Herz zum Überströmen erfüllte, und brachte es doch
nicht heraus.
Plötzlich streckte ihm der Oberst die Haud hin.
„Liebster Freund! Wenn ich Ihnen doch danken
könnte — anders als mit Worten — für das, was
Sie an meinem Jungen getan! Gerettet haben
Sie mir den — Sie allein. Kein anderer sonst
hätt's fertig gebracht. Herr Gott, was hab' ich für
Sorgen gehabt um den Bengel, zehn Jahre lang
und länger. Immer eigentlich. Jetzt erst weiß ich,
daß er geborgen ist, geborgen an der Seite einer
Frau, die er lieb hat, einer Frau — na, Sie kennen
sie ja besser als ich. Einen Brief hat mir der
Junge heut geschrieben — das Sanatorium ist
fertig, und sie haben schon die ersten anderthalb
Gäste da — solchen Ton findet nur einer, der ganz
glücklich ist, der fest steht in seinem Glück, der nun
weiß, was er will, und wozu er da ist auf der Welt.
Wollen Sie ihn lesen — den Brief?" Er deutete
mit der Linken auf den Schreibtisch. „Dort drüben
aus dem silbernen Ständer sieht er hervor. Aber
Sie dürfen nicht rot werden über das Lob, das er
Ihnen in allen Tonarten singt. Ach, liebster Freund,
wie ich Ihnen danke!"
Krampfhaft, mit beiden Händen, preßte er des
Professors Rechte.
Der stand auf, Waldemars Brief zu lesen. Viel-
leicht kam er dadurch über seine Befangenheit weg.
Und wirklich, als er fertig war, hatte er sich ein
Herz gefaßt.
Er setzte sich wieder auf seinen Platz dicht neben
dem Liegestuhl Rottenburgs und sprach, wenn auch
immer noch leise und beklommen: „Sie haben Ver-
trauen zu mir, Herr Oberst — nicht wahr? Und
über meine Vermögensverhältnisse, darüber, daß ich
im stände bin, eine Frau zu ernähren — na, um
es kurz zu machen, wenn ich Sie bitten würde:
geben Sie mir Ihre Tochter zum Weibe! — Ich
kann Ihnen versprechen, fest und heilig, daß sie
bei mir aufgehoben sein soll — wie — daß ich sie —"
Er geriet nun doch bedenklich ins Stottern, brach
ab und sah auf die Spitzen seiner Stiefel.
Rottenburg richtete sich aus seiner liegenden
Stellung auf, er wußte selbst nicht, woher er die
Kraft dazu nahm, und ein Widerschein beseligender
Freude breitete sich über sein Gesicht. Frisch und
rot, beinahe jugendlich, sahen die hageren Leidens-
züge auf einmal wieder ans in diesem Freuden-
glanz, der sie gleichsam von innen erleuchtete. „Alt-
dorf — Professor! — Das — das — nein so was!"
Fassungslos schlug er die Hände ineinander. „Früher
ist mir's ja ein paarmal so vorgekommen, als wenn
Sie mein Mädel gern hätten — man hat doch
schließlich seine Augen im Kops - und ich habe
immer gedacht: Wenn das wäre! Aber schon lange
halt' ich jede Hoffnung begraben. Und nun auf
einmal ist doch alles richtig! Daß ich das noch mit
meinen Ohren hören durfte! Auch Julia geborgen,
Julia, die ich keinem auf der Welt lieber geben
würde als Ihnen .. . Alter Herzmuskel, stehst du
denn nicht still vor Freude?" Er lachte wie ein
Kind. „Großer Gott, du lebst wirklich noch. Alt-
dorf, liebster Altdorf —"
Beide Hände streckte er dem Professor hin und

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mit überströmenden Augen, aus denen Liebe und
Dankbarkeit strahlten, sah er ihn an.
„Bitte," sprach er dann gleich weiter, „wollen
Sie mal klingeln! Dort auf dem Tisch — man hat
vergessen, mir die Glocke hier heranzustellen. Das
Gesicht von der Julia muß ich sehen! O — sie
hält große Stücke auf Sie, verehrt Sie geradezu. —
Wahrhaftig, Sie können's mir glauben."
Altdorf rührte sich nicht. „Ich bin meiner Sache
doch nicht so sicher," entgegnete er seufzend. „Und
ich möchte gern, daß Sie erst einmal mit Ihrer
Fräulein Tochter unter vier Augen reden, sie vor-
bereiten. Offen gestanden — ich hab' den Mut
nicht beisammen — und dann, ich versprech' mir
auch sehr viel von einem guten Wort, das Sie vor-
her für mich einlegen."
„Hahaha!" Der Oberst lachte laut und klatschte
mit der Hand auf das Lederpolster der Stuhllehne.
„Nee, nun machen Sie mir aber Spaß! Schüchtern
wie ein richtiger Professor. Holt für andere Leute
die Kastanien aus dem Feuer und für sich selber —"
„Ja, für andere ist so etwas auch leichter," warf
Altdorf mit einem Lächeln der Selbstironie ein und
erhob sich von seinem Sessel. „Also, nicht wahr,
Herr Oberst, Sie fragen Ihre Fräulein Tochter?
Und morgen — ich muß ja doch wieder nach Ihnen
sehen — morgen hol' ich mir Bescheid. So um
dieselbe Stunde — eher komme ich nicht gut in
meiner Klinik ab. Und Vormittags — na, Sie
wissen ja — das Krankenhaus; und dann hab' ich
auch eine Vorlesung in der Universität!"
„Gewiß — gewiß," antwortete Rottenburg eifrig.
Aber es klang doch wie leiser Unmut durch seine
Stimme. „Ich hab's allerdings anders gemacht als
junger Kerl. Hätt's einfach nicht fertig gebracht,
damals, vor dreißig Jahren — Herrgott, wie die
Zeit vergeht — einen ganzen Tag auf Entscheidung
zu warten. Aber —" er lächelte schon wieder in
alter Freundlichkeit — „ich war da eben noch ein
Leutnant!"

Julia trat in das Zimmer ihres Vaters.
„Komm mal her, mein liebes Kind. Dicht heran.
Sieh mir mal in die Augen — du." Der Alte
wurde nun doch ernst. Aber nur nicht gerührt oder
feierlich werden. Das Mädel kam ja in die besten
Hände. „Also rate mal, was Professor Altdorf heute
gewollt hat." '
Julia fühlte ihr Herz sofort von einer dumpfen
Ahnung beschwert und blickte in befangenem Schwei-
gen auf ihre Hände.
„Na, du bist, wie es scheint, doch zu dumm zum
Ratsfräulein," scherzte der Oberst, „ich werd's dir
also sagen: um deine Hand hat Professor Altdorf
angehalten — heiraten möcht' er dich, und ich
soll dich nun fragen —"
Er brach ab und sah erschreckt in seiner Tochter
Antlitz, das sich mit tiefer Blässe überzogen hatte.
„Aber was machst du denn für 'n Gesicht?" fuhr
er sie mehr bestürzt als zornig an. „Siehst ja aus
wie der Kalk an der Wand. Was ist denn los?
Hast du was gegen den Professor?" — Nun wurde
doch der grollende Unmut in seiner Stimme wach.
— „Ist er dir etwa nicht nobel genug, stört's dich,
daß er keinen adeligen Namen hat?"
Julia rührte sich nicht. Ten gemmenartig ge-
schnittenen Kopf, dessen Haar die Strahlen der
tiefstehenden Sonne in Goldgespinst zu verwandeln
schienen, hielt sie gesenkt, die schmalen feinen
Hände wie in starrer Verzweiflung ineinander ge-
schlungen, und ihr Atem ging in schweren Stößen.
Endlich rang es sich mühselig aus ihrer gequälten
Brust: „Ich hab' einen anderen lieb, hab' mich
schon einem anderen versprochen."
„Was?" fuhr Rottenburg auf, und die Zorn-
adern an seinen Schläfen schwollen. „Einem an-
deren? Was für einem, der sich nicht verpflichtet
hielt, vorher bei mir anzufraqen, ob er mir auch
genehm wäre?"
„Bargstedt —" tönte die Antwort leise.
„Dem Afrikaner?" Der Oberst stieß einen pfei-
fenden Laut durch die Zähne. „Hab' ich dich nicht
gewarnt vor dem? Gilt deines Vaters Wort nichts
mehr bei dir? Fangen die Sorgen nun mit dir
an, da ich mit deinem Bruder zur Not fertig bin?"
Keuchend kam es von den Lippen des Kranken,
dem das dicke Blut in den geschwollenen Adern
schon seit Monaten die Fähigkeit der Selbstbeherr-
schung fast völlig lähmte, den eine so heftige Er-
regung wie die jetzige in Sekunden umwersen konnte.
Julia stand noch immer regungslos. Um ihren
Mund prägte sich wieder der herbe, verschlossene
Zug aus. Dunkel empfand sie, daß es ihre Pflicht
wäre, den Vater fußfällig nm Verzeihung zu bitten.
Doch sie brachte es nicht über sich, sie konnte nun
einmal nicht für sich bitten — nie. Nur eine Er
klärung gab sie, die einfachste, und die hieß: „Ich
habe Winfried lieb."
 
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