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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 15
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0368
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liest 15 -
nebenbei erlauben. darf, Sie kannten nichts Besseres
tnn. Schon immer hab' ich mich im stillen gesragt:
marnm heiratet unser verehrter Professor nicht?
Keiner ist so berufen, keiner hat so viel Talent, eine
Fran glücklich zu machen, wie er. Und ihm selbst
wär's doch auch zu gönnen, daß er in einer har-
monischen Ehe, in einem sonnigen Heim, das ein
liebes Weib ihm zum Paradiese macht, ein Gegen-
gewicht, einen Ausgleich fände zu seiner schweren,
aufopfernden Berufsarbeit."
„Bleibt nur die eine Frage," entgegnete Altdors
mit einem leisen Seufzer, „ob ich nicht zu lange
gewartet habe, ob ich das, was ich heute getan,
nicht lieber fünfzehn Jahre früher hätte tun sollen."
Der Oberarzt zuckte die Achseln. „Natürlich —
zu früh kommt keiner mehr dazu. Aber wer nut
dreiundvierzig so rüstig ist wie Sie, so unermüdlich,
so — so — jugendlich, der kann's wohl wagen. Wie
viele Männer von dreißig gibt's denn, die Ihre
Kraft, Ihre Energie haben? An Leute von Ihrer
Eigenart läßt sich doch überhaupt kein Durchschnitts-
maßstab anlegen."
„Ja — mag schon sein. Aber denken Sie zwanzig
Jahre weiter. In zwanzig Jahren wird meine Frau
noch in ihrer vollen Blüte stehen, während ich ein
alter Mann sein werde, der möglicherweise schon
mit dem Kopfe wackelt."
„Oho," protestierte der Oberarzt, „mit dreiund-
sechzig wackeln Sie noch lange nicht mit dem Kopf.
Übrigens kann der Mensch auch schließlich schon für
zehn Jahre eines vollen und großen Glückes dankbar
sein."
Ms der Oberarzt gegangen war, stand Professor
Altdorf vom Schreibtisch auf und machte ein paar
gedankenschwere Schritte. Ja — der Kollege hatte
recht! Auch zehn Jahre Glück — welcher Reich-
tum! Und mitten im Zimmer blieb er stehen, reckte
seine Arme und schlug sich mit der Faust auf die
Brust, daß es dröhnte. Es lag wohl wirklich am
Menschen selbst, ob er mit dreiundvierzig Jahren
alt war oder jung. Und er wollte jung sein, noch
lange, lange!
Glückwünsche aus aller Herren Ländern regnete
es nur so während der nächsten Tage und Wochen.
Meist von Leuten, die Altdorf einmal in Behandlung
gehabt — „unterm Messer", wie der Oberarzt zu sagen
pflegte. Wie viele Tausende mußten das nicht ge-
wesen sein, wenn bei der raschen Vergeßlichkeit, an
welcher der von seinen Leiden kurierte Mensch noto-
risch leidet, so viele Hunderte seiner gedachten?
Der russische Großfürst, zu dessen Operation
Altdorf wenige Tage vor seiner Verlobung nach
Petersburg gefahren war, ließ ihm durch feine Ge-
mahlin einen Brillantring senden, dessen Stein die
Größe einer kleinen Haselnuß hatte. Er selbst, noch
an das Bett gefesselt, hatte im Liegen mit unsicherer
Hand unten auf den Begleitbrief geschrieben: „Alles
Glück der Erde meinem Lebensretter!"
Altdorf nahm den kostbaren Ring zwischen zwei
Finger und freute sich an dem Feuer, das der
wundervolle Brillant in wahren Garben versprühte.
Nein — für ihn war das nichts. Also packte er
Kleinod und Brief wieder ein, wie er's empfangen,
nahm einen Bogen Papier und schrieb: „Liebe
Julia! Wollen Sie mir die Freundlichkeit erweisen,
diesen Ring für mich zu tragen? Es wäre doch
schade, ihn im Kasten liegen zu lassen, und die
Glückwünsche, die er mitbrachte, gelten Ihnen ja
gerade so wie mir." —
Früher, wenn er durch die Straßen gefahren
war, hatte er kaum jemals einen Blick gehabt für
die großen Schaufenster mit ihren tausend bunten
Herrlichkeiten. Jetzt sah er alles — alles wenig-
stens, was für Julia irgendwie Zweck haben, dessen
Besitz ihr Freude bereiten, ihr das Leben behaglich
und angenehm hätte machen können, und er be-
dauerte nur, daß er aus Furcht, aufdringlich zu
erscheinen, nicht immerzu kaufen und kaufen, schen-
ken und schenken durfte. Aber in Gedanken malte
er sich's unablässig aus, wie er das Heim, in das
die Geliebte als sein Weib einziehen sollte, schmücken
würde mit den Schätzen aller Gewerbe und Künste.
Keine Fürstin sollte besser wohnen als sie, keine
Königin sich prächtiger kleiden.
Manchmal, wenn seine Phantasie allzu flott mit
ihm durchging, strich er sich lächelnd über die Stirn.
War er denn wirklich dreiundvierzig Jahre alt? Lag
da nicht ein Irrtum vor?
Blumen flogen ihm in den Tagen und Wochen
nach der Verlobung ins Haus, Blumen in allen
Formen, Farben, Düften und Arrangements, Blu-
men, die er nie gesehen, noch geahnt — so viele,
daß der alte Diener sich zu bemerken erlaubte:
„Damit könnte man ja reichlich einen ganzen Laden
versorgen. Und beim gnädigen Fräulein Braut
stehen auch schon alle Zimmer voll."
Denn es war selbstverständlich, daß alle die
Töpfe, Buketts, Körbe und Schiffe bei Altdorf nur

— Va5 Luch füi* Mle n
kurze Einkehr hielten und dann gleich in die Rotten-
burgsche Wohnung weiterwanderten.
Aber es stand in den Sternen geschrieben, daß
der Professor neben seinem Verlobungsring doch
noch einen zweiten Ring tragen sollte.
Eines Abends gab ihm die Frau Oberst einen
schmalen, dunklen, altertümlichen Goldreif, der mit
halbverwaschenen, kaum noch entzifferbaren Buch-
staben bedeckt war, und sagte: „Leider kann ich
Ihnen für die kostbaren Geschenke, die Sie meiner
Tochter machen, seine gleich wertvolle Gegengabe
bieten. Aber vielleicht nehmen Sie diesen Ring
von mir an, der schon vom Urgroßvater meines
Mannes herstammt, und den mein Mann, dem Bei-
spiel seines Vaters und Großvaters folgend, Zeit
seines Lebens nicht vom Finger gelassen hat. Die
Schriftzeichen auf dem Ring bedeuten den Wappen-
spruch der Rottenburgschen Familie: In Treue fest."
„Aber," wandte Altdorf ein, „käme dieses
Familienstück denn nicht viel eher Waldemar als
mir zu?"
Die Frau Oberst schüttelte den Kopf. „Walde-
mar, an den ich deswegen schrieb, hat ausdrücklich
darauf bestanden, daß Sie den Ring erhalten soll-
ten. Also nicht wahr, Sie machen mir die Freude,
ihn zu tragen?"
Überhaupt zeigte Frau v. Rottenburg eine herz-
liche, zum guten Teil allerdings in ihrer Schwäche
begründete, Zuneigung zu dem Professor. Ja ein-
mal, als er wieder eine durch den Tod des Obersten
verursachte geschäftliche Angelegenheit für sie in
Ordnung gebracht hatte, rief sie mit Tränen aus:
„Was sollte ich nur noch anfangen auf der Welt,
wenn ich Sie nicht hätte!"
Als Altdorf sich an jenem Tage von Julia ver-
abschiedete— sie war nun schon fast vier Wochen
seine Braut — fragte er, ihre Hand fest in der
seinen haltend, leise, mit ein wenig unsicherer
Stimme: „Haben Sie es noch nicht bereut, sich mir
versprochen zu haben?"
Frei und offen sah ihm Julia in die Augen.
„Nein," antwortete sie.
„Und werden Sie es nie bereuen?" forschte er
weiter.
„Nie," gab sie fest zurück. „Sie sind so gut,
und ich denke nur immer, ob ich auch im stände
sein werde, Ihnen Ihre Güte zu vergelten."
„Die ist mir ja schon tausendfach vergolten,
wenn — wenn Sie nur zufrieden sind, wenn Sie
nur nicht bereuen," erwiderte er warm.
Da sie schwieg, führte er ihre Hand, die er noch
immer in der seinen hielt, an die Lippen und fragte:
„Darf ich von heute ab ,Drck sagen? Es ist fast
einen Monat her, daß wir uns verlobten!"
Julia blickte ihn wieder mit ihren lichtklaren
Augen voll an und nickte.
Da legte er seinen Arm um sie, zog sie sanft
an sich und küßte sie — zum ersten Male. Wie
er sie aber nun noch einen Herzschlag lang in seinen
Armen hielt, lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter,
und er fühlte befeligt, wie ruhig, wie frei ihr Atem
ging.-
Eine der letzten Verlobungsgratulationen, die
eintrafen, kam in Gestalt eines Kabeltelegramms
aus Chicago, war Vilma Schlieben unterzeichnet
und trug den Zusatz: „Sobald von meiner ameri-
kanischen Konzertreise zurück, komme ich, Ihnen
meine Glückwünsche auch noch persönlich auszu-
sprechen. Ihre Stadt gehört ohnehin zu den Plätzen,
sür die mir mein Agent für nächsten Herbst Konzert
arrangiert hat."
So ehrlich und pflichttreu Julia sich auch Tag
um Tag bemüht hatte, jeden Gedanken an den
Mann, den sie vergessen mußte, im Keime zu er-
sticken, das Telegramm der „kleinen Zigeunerin"
rückte ihr die Erinnerung an die Liebensteiner Zeit,
an Borgstedts Bild und an das Werden und Wachsen
ihrer Liebe zu ihm wieder gewaltsam vor die Seele.
Noch wußte er bei der Entfernung, die zwischen
ihm und der Heimat lag, wohl nichts von ihrer
Verlobung mit Altdorf. Aber nahezu fünf Wochen
waren nun doch schon seit jenem trüben Morgen
vergangen, an dem sie, Wand an Wand mit dem
toten Vater, den inhaltsschweren Brief nach Windhuk
geschrieben, und jeden Tag konnte dieser Brief jetzt
in Borgstedts Hände gelangen. Wie würde er die
Nachricht, die er ihm brachte, tragen? Würde er
sich still in das Unabänderliche schicken oder würde
er sich von seinem heißen Blut zu einer Protest-
antwort hinreihen lassen, die doch keinen anderen
Zweck haben konnte, als sie um ihren mühsam er-
kämpften, ohnehin noch auf schwachen Füßen stehen-
den Frieden zu bringen?
Von den fünf Chiffrebriefen, die inzwischen
Woche für Woche aus Afrika für sie eingetroffen
waren, hatte sie nur noch den ersten vom Postamt
abgeholt; in jenen Tagen, die Altdorf in Peters-
burg zugebracht.

Z25
In einer jener dunklen Stunden hatte sie's ge-
tan, wie sie wohl in jedem Menschenleben sich er-
eignen, in einer jener Stunden, in denen alles Licht
und aller Glaube von uns genommen ist, in denen
Schmerz und Gram uns irre machen an uns selber,
in denen wir tun, was wir bei klaren Sinnen nicht
verantworten können, und in denen wir oft noch
viel Schlimmeres, nie wieder Gutzumachendes tun
würden, wenn nicht ein guter Engel uns behütete.
Die Verzweiflung über des Vaters jähen Tod und
ihre Schuld daran hatte sie wie mit. glühenden
Geißeln gepeitscht, und in ihrer inneren Haltlosig-
keit und Zerrissenheit hatte sie sich auf den wirren
Gedanken festgebifsen: „Nicht aus zartfühlender
Rücksicht hat Altdorf bisher noch kein klares, bündiges
Wort über sein Verhältnis zu dir gesprochen, son-
dern weil er selbst nicht mit sich einig ist, was wer-
den soll, weil es ihm leid tut, dir an deines Vaters
Sterbebett die Hand geboten zu haben, weil er
kein Vertrauen zu dir fassen kann." Und als
hätte sich alles gegen sie verschworen gehabt,
hatte in jenen Tagen gerade die Presse zu dem
Gerücht über Borgstedts Vergehen Stellung ge-
nommen mit einer im wesentlichen beschwichtigen-
den Notiz, in der es hieß, man möge doch erst ab-
warten, es würde sich schon alles klären; soweit die
schwarz-weiß-rote Flagge wehe, hätte noch immer
jedes Unrecht seine Sühne gefunden, nur jetzt solle
man das Drängen lassen. Hendrik Witboi, der
rebellische Kaffernhäuptling, drohe schon wieder mit
einem neuen Aufstand, und es wäre eine starke
Rücksichtslosigkeit, von dem Schutztruppenkomman-
deur zu verlangen, daß er seinen anerkannt tüch-
tigsten Offizier um einer Lappalie willen gerade
in dem Moment heimschicken sollte, wo er ihn am
allernötigsten brauchte.
Also Verleumdung war es jedenfalls nicht, was
man gegen Borgstedt vorbrachte. Etwas Wahres
mußte daran sein. Oder verhielt sich am Ende gar
alles genau fo, wie es in dem Artikel stand, den
ihr der Vater an seinem Todestage zu lesen ge-
geben? O Gott, laß es nicht sein!
Und da war sie den gewohnten Weg noch ein-
mal gegangen. Aber auch in dem neuen Brief
hatte nichts weiter gestanden als in all den an-
deren, die ihm vorangegangen waren: heiße Liebes-
beteuerungen, bittere Klagen über die schier end-
lose Trennung, flehende Bitten um Bewahrung der
Treue und wieder glühende Liebesbeteuerungen.
Nur ganz zuletzt eine kurze Nachschrift, die Julia
auch nichts Neues brachte: „Hendrik Witboi rüstet
zu einer neuen Erhebung. Ein wahres Glück, daß
wieder etwas kriegerische Abwechslung winkt in dem
ewigen Einerlei des Dienstes, der hier unten fast
noch öder ist als in der Heimat. Vielleicht kann
man sich bei der neuen Expedition ein wenig aus-
zeichnen und desto rascher Hauptmann erster Klasse
werden. Nur darfst Du Dich nicht wundern, wenn
Du vielleicht in nächster Zeit Nachricht von mir
etwas unregelmäßig empfängst."
Julia lachte bitter auf, als sie zu Ende gelesen.
Auszeichnen wollte er sich? Wie denn? Mit Grau-
samkeit gegen die schwarzen Burschen, die doch
nichts weiter taten, als ihre angestammte Mutter
Erde verteidigen — wie es ihm bei seinem Abschied
in Liebenstein schon ihr Vater gesagt.
Und von dem, worauf es ankam, wieder keine
Zeile. Gewiß fühlte er sich schuldig. Aber wenn
er sich tausendmal schuldig fühlte, fo durfte er das,
was er auch immer getan hatte, nicht mit Still-
schweigen übergehen. Klarheit in allen Sachen,
Ehrlichkeit und rückhaltloses Vertrauen waren die
ersten Bedingungen, die Liebende gegeneinander
erfüllen mußten. Aber er war nicht ehrlich, wenn
auch vielleicht nur deshalb nicht ehrlich, weil er sie
durch ein offenes Geständnis seiner Schuld zu ver-
lieren fürchtete.
Und Julia, die alles hinterhältige Verschweigen
wie die Lüge haßte, hatte — halb in Zorn und
halb in Scham — Borgstedts Brief zerrissen und
ins Feuer geworfen.
Dann, als ihre Verlobung mit Altdorf öffentlich
bekannt gemacht war, hatte sie diesem gesagt: „Bis
Borgstedt mein letztes Schreiben erhalten haben
wird, werden noch Briefe von ihm für mich ein-
treffen. Wollen Sie diese Briefe an meiner Statt
beim Postamt abheben oder abheben lassen und dem
Absender zurückschicken?"
Der Professor hatte kaum merklich die Stirn
geneigt, und Julia war froh gewesen, daß sie nun
wieder auf geradem Wege war, daß sie ohne Scheu
des toten Vaters gedenken und offen und frei in
Altdorfs Augen sehen konnte.
Nun war Vilmas Telegramm gekommen und
hatte mit einem Schlage den Damm weggerissen,
hinter dem sie den Strom ihrer Liebe zu Borgstedt
abgesperrt, ja verschüttet geglaubt. Wie war es
nur möglich? Trugen die Sommertage die Schuld,
 
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