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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 21
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0506
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456 . - . - .i
-Möbel passen in unser altes einfaches Haus, wie
die Faust aufs Auge." .
„Was hat dir denn die Laune so arg verdorben,
Herr Papa?"
„Vieles. Erstens das miserable Hundewetter —"
„Bei dem du doch auf die Jagd gehen wolltest?"
„Ich kann nicht den ganzen Tag auf dem Sofa
Herumliegen und nichts tun, wie —"
„Bitte sehr — ich arbeitete."
Der alte Stechow lachte spöttisch auf. Er streifte
die schlanke, lang ausgestreckte Gestalt seines Sohnes
trotzdem mit wohlgefälligem Blick. Schlank und
biegsam war der Bengel wie eine Weidengerte —
dazu der schmale Rassekopf mit den feingeschnittenen
Zügen, den großen braunen Augen, die so schläfrig
blinzelten, aber doch adlerscharf sehen konnten
und selten ihr Ziel fehlten, wenn der junge Herr
nach der Scheibe schoß oder seinen Vater wirklich
einmal auf seinen weiten Birschwegen begleitete.
„Du glaubst wohl, daß man nur arbeitet, Papa,
wenn man Holz hackt, einen Gaul müdereitet oder
knietief im Acker herumstampft, um irgend einen
armen Hasen vom Leben zum Tode zu befördern?"
„Jedenfalls ist das eine nützlichere Beschäftigung,
wie die halben Tage sich auf dem Sofa herumzu-
wälzen und Zigaretten zu rauchen."
„Ärgern wir uns nicht unnötig, Papa. Ich sagte
dir bereits, daß ich arbeitete — auf meine Weise
allerdings. Ich dachte! Kopfarbeit ist oft viel an-
strengender wie Handarbeit."
Stechow zuckte nur die Achseln. Seine derbe,
vierschrötige Gestalt in der alten verschossenen Jagd-
joppe bot einen grellen Gegensatz zu der eleganten
Erscheinung des Sohnes. „Wenn du also ,aus-
gedacht' hast, könnten wir wohl gehen," schlug er vor.
An den Fensterscheiben sickerten immer noch die
Regentropfen herunter. Die kahlen Bäume im
Garten schlugen klatschend mit den nassen Zweigen
zusammen.
„Wir machen ja mehr Flurschaden, als die Ge-
schichte wert ist," entgegnete Georg. Er richtete sich
auf und gähnte verstohlen durch seine feine Nase. Im
stillen hoffte er, der Vater würde ihn nun in Ruhe
lassen oder allein seiner Jagdpassion frönen.
. Der alte Stechow sah als guter Landwirt auch
die Berechtigung des Einwandes ein. Er blieb mit
einem Seufzer der Enttäuschung sitzen und beschloß,
den doch einmal gründlich verregneten Tag noch
mit einer unangenehmen Aussprache, die ihm schon
lange auf der Seele lag, endgültig zu verderben.
Er wußte aber nicht recht, wie er anfangen sollte,
ohne mit der Tür ins Haus zu fallen. Er begann
also, einen selbst komponierten Marsch zu pfeifen,
dessen merkwürdige Töne an den reizbaren Nerven
seines Sohnes rissen und zerrten.
„Hör auf, Papa!" bat Georg endlich gequält.
„Steck dir lieber 'ne Zigarre an."
„Was ist denn los?" Der Alte sah ganz ver-
wundert in Georgs verstimmtes Gesicht. Er war
sich keiner Schuld bewußt, denn er erriet niemals,
womit er seine reizbare Frau und den gleichfalls
nervösen Sohn so oft folterte.
„Du wolltest mir etwas sagen," fuhr Georg
schnell fort, um die Wiederholung des Marsches zu
verhindern. „Gewiß wolltest du mir eine Rede
über zu vieles Geldausgeben halten oder dem ähn-
liches — ist's nicht so?"
„Kannst nicht übel raten, Junker." Stechow
leckte das gelöste Deckblatt einer etwas feucht ge-
wordenen Zigarre umständlich fest.
„Also das alte Thema mal wieder!" Georg ließ
sich resigniert in die Kissen zurückfallen. „Das dauert
lange, das kenne ich! Dabei mach ich's mir lieber
bequem."
„Das tust du überhaupt gründlich, mein Freund-
chen."
„Seit einigen Monaten hier — ja. Du wolltest
durchaus, daß ich herkam, um deinem Mündel, der
reichsten Partie des ganzen wohllöblichen Havel-
landes, den Hof zu machen."
„Aber weiter bist du immer noch nicht gekom-
men!"
„Wie weit soll ich denn kommen?"
»Zur Heirat — du Dummbart!" platzte der alte
Stechow heraus. Er warf die angerauchte Zigarre,
die einen unangenehmen Geruch verbreitete, weil
sie nur schwelte und nicht ordentlich brannte, nach
einigen saugenden Zügen mit einer Verwünschung
in den „stilvollen" Aschenbecher, der, in Gestalt eines
aufrechtsitzenden Frosches, bereitwillig sein breites
Maul aufsperrte.
„Ich — und heiraten!" Georg lachte laut auf.
„Da wüßte ich wirklich nicht, wer mir bei dem
Unternehmen mehr leid täte — ich oder meine
Frau."
„Warum? Du bist ein hübscher, fixer Junge,
wenn's auch manchmal bei dir rappelt. Eine ver-
nünftige Frau bringt das schon heraus. Und wenn

- - - Va5 Luch fül-Mle . 1
du erst auf deinem eigenen Grund und Boden sitzest
als Schloßherr von Lehmin, so wirst du all deine
Schrullen von Kunst, Malerei, Dichten und so weiter
bald vergessen."
„Das wäre traurig, wenn meine Liebe für die
Kunst auf so schwachen Füßen stände!"
„Kunst — dummes Zeug! Das bißchen Pinseln
und Schreiben!"
„Das wird sich in Paris zeigen, ob mein Talent
klein oder groß ist. Professor Olhardt soll kein Blatt
vor den Mund nehmen und Schüler, die ihm nicht
zusagen, sehr bald aus seinem Atelier hinaus-
befördern."
„Hast du den verrückten Gedanken, in Paris
Malunterricht zu nehmen, immer noch nicht auf-
gegeben? Wenn durchaus gemalt werden muß,
kannst du das doch auch in Deutschland tun!"
„Gewiß — aber mir sagt Olhardts Methode
besonders zu. Ich halte viel von seinem Können.
Vorigen Sommer lernte ich ihn in Tirol kennen.
Er ist Süddeutscher, aber er schwärmt von den
Kunstschätzen des Louvre. Hauptsächlich um denen
nahe zu sein, hat er sich sein Atelier und eine Kunst-
schule in Paris eingerichtet. Übrigens will ich auch
nicht allein des Malens wegen nach Paris gehen."
„Weswegen denn sonst noch? Um dort weiter
zu bummeln — was?"
„Du wirst es vermutlich so nennen. Leben will
ich, ganz einfach leben — nicht vegetieren wie hier
seit Monaten."
„Aus dem Plan wird nichts."
„Daraus wird doch etwas! — Jetzt laß mich
ausreden, Vater." Schlank und hoch stand Georg
vor dem Stuhl des Vaters, der ganz verdutzt zu
ihm aufsah. Eine senkrechte Falte lag auf der Stirn
des eben noch so lässig Ruhenden, die das ganze
Gesicht veränderte, es älter, härter machte. Die
großen braunen Augen sahen rücksichtslos entschlossen
aus. Auf der einen schmalen, braungebrannten
Wange zeichnete sich ein breiter „Durchzieher" als
ehrenvolle Erinnerung einer schneidigen Korps-
studentenzeit scharf ab.
„Bisher ist alles nach deinem Willen gegangen,
Vater," fuhr Georg heftig fort. „Statt mich so-
fort von der Schule aus auf eine Malerakademic
zu schicken, wie ich es wünschte, hast du mich nach
Heidelberg ins Korps gesteckt. Schön — ich hab's
mitgemacht, hab' getrunken, gesungen, gefochten,
gejubelt, wie sich's gehört — und heimlich nach
Freiheit und Einsamkeit gelechzt. Kaum war das
überstanden, da hieß es dienen. Jetzt mußte erst
das Freiwilligenjahr abgemacht werden! Du tatest
freilich ein übriges und ließest mich in einem der
teuersten Kavallerieregimenter dienen, aber Zwang
und Enge war auch das wieder. Kaum hatte ich
das Jahr glücklich hinter mir, galt's, mein Examen
zu machen. Der Referendar mußte erreicht werden.
Mit Hilfe eines guten Einpaukers ist auch diese
Staffel menschlicher Gelehrsamkeit von mir erklom-
men worden."
„Hast dabei aber immer mehr gemalt wie ge-
lernt," schaltete der Alte ein. „Du verdankst es
nur deinem guten Kopf und deinem Glück im
Examen, daß du nicht durchgerasselt bist."
„Aufs Resultat kommt's an. — Also, nachdem
ich so stets deinem Willen gefolgt bin und eigene
Wünsche unterdrückt habe, soll ich mich nun auch
noch in die Ehe schieben lassen, weil Lehmin an
unsere Klitsche grenzt, und der Besitz dadurch hübsch
abgerundet würde. Das ist zu viel verlangt!"
„Viel verlangt! Ein hübsches, reiches Mädel zu
heiraten, die Besitzerin einer prachtvollen Herrschaft
ist — das nennst du zu viel verlangen?"
„Ich fühle gar nicht den Drang, den —Prinz-
gemahl dieser Erbin zu spielen. Sogar ihren
Namen muß man ja tragen, sich Graf Lehmin
nennen— danke! Ich bleibe lieber Georg v. Stechow
und verdiene mir mein Brot selber."
„Du würdest wahrscheinlich recht trockenes Brot
knabbern müssen."
„Vielleicht — vielleicht auch nicht."
„Seit beinahe zwei Jahren, seit du das berühmte
Examen gemacht hast, fährst du in der Welt herum."
„Verlangst du, daß ich nun sofort auf den Assessor
lossteure? Was hat das für einen Zweck, da ich
doch keine Staatsanstellung haben will? Das Refe-
rendarexamen hab' ich doch nur gemacht, um zu
beweisen, daß ich nicht der Bummler bin, als den
du mich hinzustellen beliebst."
„Ich weiß wohl, daß du etwas leisten kannst,
wenn du nur willst."
„Na also, dann sei zufrieden und laß mich meinen
Weg gehen."
„Ich hab'- nicht Geld genug für die kostspielige
Lebensweise, die du bevorzugst."
„In Paris werde ich nicht viel brauchen, denn
ich will dort nicht als großer Herr auftreten, sondern
als Künstler leben. Wird das schön werden! Em-

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mal allen Krimskrams unseres Standes abstreifen,
nur sich selbst leben, nur Schönes, Großes, Inter-
essantes sehen und —"
„Hör mal zu, mein Sohn!" Der alte Stechow
stand auch auf und faßte Georgs Arm. Er trat dem
Sohn so nahe, daß der den heißen Atem des Vaters
auf seiner Wange spürte. „Hör zu! Wenn du die
Anne-Marie Lehmin nicht heiratest, sind wir banke-
rott! — Verstehst du mich?"
„Nein."
„Anne-Maries verstorbener Vater, mein bester
Freund, hat mir vor Jahren viel Geld geliehen,
weil's schon damals wackelig mit Rettershof stand.
Wenn nun Anne-Marie mündig wird, muß ich ihr
das Kapital auszahlen, sobald sie's verlangt, oder
ihr dereinstiger Mann das fordert. Dann aber ist's
aus mit uns."
„Kannst du denn nicht Hypotheken dafür auf-
nehmen?"
„Rettershof ist bereits überlastet. Der alte
Lehmin erwies mir einen großen Freundschafts-
dienst, als er das Geld lieh — na, er war ja reich
genug, es eutbehren zu können."
„Anne-Marie wird dich auch nicht zur Aus-
zahlung drängen."
„Sie selbst vielleicht nicht, aber ihr zukünftiger
Mann, oder, wenn sie stirbt, die Verwandten, die
sie beerben. Wie gern hätte ich schon längst einen
Teil ihrer Hypotheken eingelöst, aber du brauchst
zu viel, mein Junge — und was die Wirtschafts-
führung deiner Mutter kostet, das rechne mal selber
aus. Kannst du dir deine Mutter ohne Gesell-
schafterin, Jungfer, Kammerdiener denken? Ich
nicht."
„Nein. Aber deswegen verkaufe ich mich noch
lange nicht."
„Dummes Zeug! Es war eine Lieblingsidee
meines alten Freundes, daß unsere Kinder sich hei-
raten sollten. Er lebte in beständiger Angst vor
einem Schuldenmacher oder Nichtstuer, der fein
Goldfischchen kapern könnte."
„Bei mir wäre das doch auch nicht viel anders.
Ich würde Anne-Marie auch nur zwangsweise und
ohne Liebe heiraten."
„Du wirst sie schon lieben, wenn sie deine Frau
ist. Anne-Marie kennt den Wunsch ihres verstorbenen
Vaters. Sie ist bereit, sich mit dir zu verloben."
„Zu gütig! Sie läßt wohl wie eine regierende
Königin dem Prinzen ihre Hand durch Bevollmäch-
tigte anbieten?"
„Du kannst selig sein, wenn sie dich nimmt,
dummer Junge. Anne-Marie hat Anträge von allen
Seiten. Sie ist wirklich nicht in Not um einen
Mann."
„Das glaube ich gern. Warum verfällt sie denn
aber gerade auf mich Unwürdigen?"
„Erstens weil es der Wunsch ihres Vaters war
— zweitens ist Anne-Marie sehr praktisch. Retters-
hof vergrößert ihren Besitz einmal sehr hübsch. Wenn
man Geld hineinstecken kann, bringt man's schnell
wieder hoch — und eure Kinder —"
„Nur langsam, langsam!"
„Du wärst ein Narr, wenn du dir diese Partie
entgehen ließest, mein Junge. Schöner kannst du's
nie treffen. Anne-Marie regiert auf Lehmin trotz
ihrer zwanzig Jahre ganz selbständig, die Wirtschaft
geht am Schnürchen, du brauchtest als ihr Mann
dich nur wenig drum zu kümmern, könntest malen,
reisen, deinen Büchern leben. Sie wird dir kein
Hindernis in den Weg legen, und da du keine andere
liebst —"
„Vorläufig allerdings nicht. Die jungen Damen
unserer Kreise sind meistens ziemlich alberne Gäns-
chen, und die Malermädet in ihren Lodenröcken und
Hemdenblusen sind mir zu schlampig."
„Anne-Marie ist keines von beiden. Sie ist ganz
große Dame und —"
„Ich werd' mir's überlegen, wenn du mich zu-
nächst nach Paris läßt. Ich will mich mit einer
kleinen Zulage begnügen."
„Die braucht gar nicht klein zu sein. Für Anne-
Maries Bräutigam kratz' ich zusammen, was ich nur
irgend kann."
Georg mußte lachen. „Vater, du bist wirklich
gerieben wie ein Wucherer; du legst mir den Strick
förmlich um den Hals."
„Tu mir den Gefallen und fahre morgen gleich
nach Lehmin hinüber. Wenn du wirklich bald nach
Paris willst, mußt du dich doch wenigstens von Anne-
Marie vorher verabschieden."
„Unterm Sofa kriecht da wohl gleich ein Standes-
beamter hervor, um mich dingfest zu machen?"
„Red keinen Unsinn, Junge! Komm lieber
'runter, es wird bald Abendbrot gegessen, und die
Mutter will gewiß noch mit dir schwatzen."
Der alte Stechow war trotz der nur sehr wider-
willigen Zusage seines Sohnes ganz munter ge-
worden. Seine joviale, sanguinische Natur glaubte
 
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