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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 21
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0507
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liest 21 -
immer das beste, und der Erfüllung seines Herzens-
wunsches schienen ernsthafte Hindernisse in der Tat
nicht entgegen zu stehen. Am liebsten Hütte er
natürlich das junge Paar sogleich fest verlobt und
sehr bald verheiratet; wenn aber der alberne Junge
durchaus erst noch ein paar Monate in Paris herum-
bummeln und schöne saubere Leinwand vollklecksen
wollte — gut. Anne-Marie war ein verständiges
Mädchen, die würde ihm jetzt die Freiheit lassen,
um ihn später desto fester an die Kandare zu nehmen.
Er schob seinen Arm in den des Sohnes, um ihn
mitzunehmen.
Aber Georg machte sich frei. „Mißverstehen wir
uns nicht, Papa," sagte er entschieden. „Ich ver-
spreche dir vorläufig nur, daß ich mir die Sache
überlegen will."
„Ja, ja — schon recht. Fahr nur morgen hin
— das übrige findet sich."
„Du hast wohl gar schon Anne-Marie gesagt,
ich hätte sie gern, und wäre nur zu schüchtern, ihr
meine Gefühle zu gestehen?"
Der alte Stechow wurde sehr verlegen. Das
stand seinem derben, ehrlichen Gesicht so komisch,
daß der Sohn trotz seines Ärgers laut auflachte.
„Na, laß nur sein, Papa!" schnitt er die etwas
verworrenen Auseinandersetzungen ab. „Gegen
meinen Willen kann selbst die allmächtige Erbin von
Lehmin mich nicht heiraten."
Als sie zusammen die breite Treppe, die in den
unteren Stock führte, herabstiegen, deutete der alte
Stechow auf die ausgetretenen grauen Steinstufen:
„Seit Jahrhunderten ist ein Geschlecht der Stechows
nach dem anderen diese Treppe heruntergegangen."
Seine Stimme schwankte ein wenig dabei. Er
richtete die Blicke nach der weißgetünchten Wand,
an der ein Ahnenbild neben dem anderen hing.
Die Porträte zeigten alle eine gewisse Familien-
ähnlichkeit — derbe, ehrliche Gesichter mit gut-
geschnittenen Zügen, blauen Augen und Hellen
Haaren. Wie ein Fremder stand Georg v. Stechow,
der letzte Namensträger, unter diesen echt germanisch
aussehenden Vorfahren. Ein leichtes Lachen zuckte
um seinen Mund.
„Die Welt geht nicht unter, wenn auch die
Stechows nicht mehr auf Rettershof sitzen und diese
Treppe herauf und herunter stolpern, Papa," meinte
er gleichmütig. „Vor Jahrhunderten haben unsere
Vorfahren das Land armen Bauern abgepreßt oder
einfach fortgenommen, dafür wirft uns jetzt irgend
ein reicher Jndustrieritter heraus, wenn wir unsere
Hypotheken nicht zahlen können. Das ist nur ge-
recht."
Solche Reden ärgerten den alten Stechow stets
bis aufs Blut. Er begann eine lange Verteidigungs-
rede feiner Vorfahren, aber Georg, der genau wußte,
daß sein Vater in der Familiengeschichte bis auf die
Kreuzzüge zurückzugehen pflegte, hielt sich lachend
die Ohren zu.
„Verschone mich — ich will alles glauben, was
du willst. Vermutlich haben die Stechows ja nicht
mehr getan, wie andere Raubritter dermaleinst
auch. Warum habt ihr übrigens Rettershof nicht
längst zum Fideikommiß gemacht — wenn der Ge-
danke an einen Verkauf dir so fürchterlich ist?"
„Weil nie Geld genug da war, mein Junge.
Heutzutage spinnt man keine Seide mehr bei der
Landwirtschaft."
„Und jetzt soll ich der Notnagel sein, der in die
wackelige Geschichte eingeschlagen wird! Was sagt
denn die Mutter zu diesem Plan?"
„Ausnahmsweise ist sie einmal ganz mit mir
einverstanden," versicherte der alte Stechow stolz.
„Frag sie nur selber."
Frau v. Stechow saß bereits in ihrem Salon
vor dem gedeckten Teetisch. Ihre zierlichen Hände,
von seidenen Halbhandschuhen bedeckt, fuhren un-
ruhig suchend zwischen den dünnen Porzellantassen,
den silbernen Kuchenkörben und Obstschalen hin und
her. Das Wirtschaftsfräutein Lydia Winter, die
sonst Tee einzuschenken Pflegte, machte Einkäufe in
der Stadt, darum lag heute auf Frau Amely
v. Stechows schwachen Schultern die schwere Last,
Gatten und Sohn beim Abendbrot versorgen zu
müssen. Sie war so eingenommen von der Größe
und Wichtigkeit dieser Aufgabe, daß sie ihres Mannes
wenig salonfähiges Kostüm gar nicht beachtete, son-
dern nur ihm und Georg halb verlegen, halb wichtig
zunickte.
„Setzt euch, bitte. Der Tee wird gleich fertig
sein."
„Hast du auch welchen in die Kanne getan,
Mama?" erkundigte sich Georg. „Meistens läuft
nur heißes Wasser heraus, wenn du Tee erwartest."
Frau v. Stechow schlug mit ihrem kleinen Fächer,
der stets neben ihr lag, nach dem „naseweisen Jun-
gen". Herr v. Stechow goß vorsorglich seine Tasse
halb voll Rum. Mit diesem bei ihm sehr beliebten
Stoff verbesserte er gern den dünnen Tee.

— v35 Luch sül* Mle "
„Wo ist denn Fräulein Lydia, dein Schatten,
Amely?"
„Sie hat Besorgungen zu machen," seufzte Frau
v. Stechow. „Mir fehlte Seide zu meiner Spitzen-
arbeit. Ich habe ein entzückendes Muster ent-
worfen, Georg. Du mußt dir das gleich einmal
ansehen."
„Das hat Zeit bis nachher," brummte der alte
Stechow ein wenig übellaunig.
Aber Georg, der die Passion seiner Mutter für
alte Spitzenmuster kannte, zog eine angefangene
Arbeit aus ihrem Nähtisch hervor. Frau v. Stechow
erklärte lebhaft die Unterschiede zwischen Brabanter-,
Richelieu- und Alen^onspitzen und zeigte ihre neuen
Entwürfe, die sie ausprobieren und einer Moden-
zeitung einsenden wollte. Georg verbesserte einiges
an der Zeichnung. Mit seinen frauenhaft geschickten
Händen entwirrte er auch die auf dem Klöppelkissen
seiner Mutter entstandene Unordnung und bewun-
derte zu ihrem Entzücken lebhaft ein altes Spitzen-
restchen von wunderbarer Feinheit, das ihren Ent-
würfen als Vorbild diente.
„Die Villers haben alle eine Marotte für Spitzen,"
plauderte Frau v. Stechow, die als eine geborene
Gräfin Villers einer vornehmen, verarmten fran-
zösischen Emigrantenfamilie entstammte. „Aus den
Schreckensjahren der großen Revolution haben
meine Vorfahren nichts gerettet, wie ein paar alte,
echte Spitzenärmel. Und wenn ich denke, welchen
großen Besitz sie einst ihr eigen nannten!"
Mit einem leichten Seufzer sah sie sich in ihrem
Salon um. Der Damast der zierlichen Rokoko-
möbel war freilich sehr verblaßt, an manchen Stellen
sogar schon gestopft, aber der ganze Raum machte
trotzdem mit den vielen blühenden Blumen, den
Bildern und Kunstsachen einen ebenso behaglichen
wie vornehmen Eindruck. Die kleine zarte Frauen-
gestalt in ihrem mattlila, mit Spitzen reich besetztem
Kleid, dem leicht ergrauten welligen Haar um das
feine Gesichtchen und den lebhaften dunklen Augen
gehörte, wie das Bild in feinen Rahmen, in dieses
Milieu. Bei ihrem lebhaften Geplauder stockte das
Teeeingießen immer wieder. Gatte und Sohn be-
dienten sich schließlich allein. Herr v. Stechow kaute
mit vollen Backen und schlürfte seinen Tee geräusch-
voll hinunter. Seine Frau schob nur ab und zu
ein Bröckchen halbzerkrümelten Kuchen in den Mund.
„Nun hör aber endlich einmal von dem Firlefanz
auf!" unterbrach der alte Stechow die atemlose Be-
schreibung einer alten, berühmten Kirchenspitze.
„Was gehen uns die Altardecken in Brüssel an,
möchte ich wissen? Sag lieber Georg, daß auch du
seine Verlobung mit Anne-Marie für das größte
Glück hältst."
„Hat er eingewilligt?" Ein freudiges Rot lief
über Frau v. Stechows Gesicht. „Herzensjunge!"
Sie zog den hübschen braunen Llopf des Sohnes
mit ihren kinderkleinen Händen zu sich herunter und
küßte ihn zärtlich.
„Nur bedingt, Mama. Der Vater ist etwas zu
eilig. Ich habe gesagt: ich wolle mir's überlegen."
„Georg, wenn du zu lange überlegst, nimmt sie
vielleicht einen anderen!"
„Das überlebe ich."
„Aber wir nicht — wenigstens nicht hier in
Rettershos!" Der alte Stechow schob seine Tasse
so heftig zurück, daß die braunen Tropfen auf die
weiße Damastserviette spritzten. „Verlobst du dich
nicht mit Anne-Marie, so können wir über kurz oder
lang unsere Sachen Packen. Ich werde Inspektor,
Mama klöppelt Spitzen, und du pinselst Bilderbogen.
— Feines Leben — was?" Er lachte, aber das
Lachen klang erzwungen und gar nicht lustig.
„Wenn du mir Zeit ließest, Papa, ist es sehr
möglich, daß ich noch einmal mit dem Pinsel viel
Geld verdiene."
„Ach, Kind!" Frau v. Stechow nahm die
schlanke Hand des Sohnes in ihre beiden Hände.
„Was sprichst du da? Willst du ein Handwerk aus
deiner Kunst machen, Brot verdienen, dich nach dem
Geschmack, den Launen des Publikums richten, bei
den Vorständen der Museen und Ausstellungen
Herumbetteln, daß sie deine Bilder aufhängen und
ausstellen? — Du-Wie lange dein Stolz das
wohl ertrüge? Jetzt bist du dein eigener Herr, kannst
malen, schreiben, treiben, was du willst und dir
zusagt."
„Recht hat deine Mutter!" pflichtete der alte
Stechow ihr bei.
Aber seine Frau, die bemerkte, daß seine Bei-
stimmung den Sohn nur reizte, winkte ihm schnell
mit den Augen zu und sagte: „Laß mich jetzt allein
mit Georg reden, Alterchen."
Stechow stand auf. „Meinetwegen, wickle um
den gesunden Menschenverstand, der ihm den Rat
erteilt, Anne-Marie zu heiraten, ein bißchen Süß-
holz — vielleicht schmeckt's ihm dann besser."
Er raffte seine Zeitungen zusammen und ging

- . 457
auf sein Zimmer, das im anderen Flügel des
Hauses lag.
Tie Tür hatte sich kaum hinter ihm geschlossen,
als Georg sich lebhaft wieder seiner Mutter zu-
wandte. „Ich verstehe dich nicht, Mama," sagte er
vorwurfsvoll, „du hast mich bis jetzt immer ver-
standen, hast immer dem Vater zugeredet, mich
meinen Weg gehen und Maler werden zu lassen —
auf einmal wendest auch du dich gegen miöh?"
„Wie kannst du das sagen, Georg — ich mich
gegen dich wenden! Niemals. Aber, Liebling, ich
kenne die Armut — und du kennst sie nicht. Ich
weiß, daß es etwas ganz anderes ist, als Besitzer
der Herrschaften Lehmin und Rettershof seinen
künstlerischen Neigungen zu leben, wie als armer
Maler Bilder verkaufen zu wollen."
„Mutter, wie oft haben wir davon gesprochen,
in Paris zu leben, wenn ich ein berühmter Maler
würde."
„Träume — Georg!"
„Ihr laßt mir ja keine Zeit, euch zu beweisen,
ob diese Träume nicht Wirklichkeit werden könnten."
„Früher wußte ich noch nicht, wie schlecht unsere
Vermögenslage ist."
„Würde dir denn der Verkauf von Rettershos
auch so schwer werden? Wie manches Mal hast du
über die Einsamkeit hier geklagt!"
„Ja, aber in siebenundzwanzig Jahren wurzelt
man doch fest ein. In der Phantasie malte ich mir
wohl oft ein schöneres Leben an einem anderen Ort
aus, aber in Wirklichkeit ertrüge ich eine Verände-
rung nicht mehr. Der Gedanke, dies Haus, meinen
Salon, unseren Garten mit den vielen Rosen zu
verlassen, mich in eine enge Stadtwohnung mit
unangenehmen, lärmenden Mitbewohnern einzu-
schachteln — nein, vor dem graut mir. Ich stürbe
daran. Ist denn das Opfer so groß, das wir ver-
langen, Herzenskind? Anne-Marie ist jung, hübsch
und reich!"
„Das weiß ich alles. Aber ich gebe mit dieser
Heirat nicht nur meine persönliche Freiheit, sondern
auch meine Künstlerträume auf."
„Keineswegs. Anne-Marie ist klug genug, deinen
Neigungen kein Hindernis in den Weg zu legen.
Sie ist sehr froh, wenn du sie allein in Lehmin
regieren läßt. Sie würde nicht gern die Herrschaft
mit ihrem Manne teilen. Auch ist sie keine kleine,
enge Natur, die verlangt, daß du ihr immer am
Rock hängst. Als Graf Lehmin bist du reich genug,
um durch die ganze Welt zu reisen."
„Vom Gelds meiner Frau!"
„Was ihr gehört, gehört dir dann doch auch.
Außerdem bessern sich die Zeiten vielleicht wieder,
und wenn Papa nicht die hohen Zinsen an Anne-
Marie mehr zahlen mnß, kann er auch mehr in
Rettershos bineinstecken."
Georg stützte den Kopf in die Hand. Frau
». Stechow störte ihn nicht in seinen Gedanken.
Ab und zu sah sie mit liebevoller Frage in sein
ernstes Gesicht.
Mit einem halben Lächeln richtete er sich endlich
ans. „Du würdest dich also sehr freuen, kleine
Mama, wenn ich eure Wünsche erfüllte?"
„Wie unbeschreiblich!"
„Der Gedanke, euch eure vielen Opfer zu ver-
gelten, ist verführerisch. Wenn Anne-Marie ein-
willigt, daß ich trotz unserer Verlobung — es braucht
wohl nicht gleich geheiratet zu werden — sür ein
Jahr mindestens nach Paris gehe, und wenn sie
mich später nach meinen Neigungen leben läßt —"
„O Kind!" Frau v. Stechow strahlte. „Du
solltest dir ein Atelier in Lehmin einrichten, meinte
sie neulich schon. In dem alten romantischen Turm,
wenn er ein bißchen ausgebaut wird, ist Platz
genug."
„Warum hat Anne-Marie es eigentlich gerade
aus mich abgesehen?"
„Frage sie das morgen selber. Bist du denn so
wenig eitel, Georg?"
„Eitel? Lieber Gott, welch dummes Gesicht ich
morgen wohl aufsetze, wenn ich nach Lehmin reite,
eine Rose im Knopfloch und: .Papacben und Mama-
chen wünschen, daß ich heirate,' hsrvorstottere."
„Ich glaube, dumm kannst du gar nicht aus-
sehen, Georg."
„Meinst du? Jedenfalls wünscht ihr, mir für
mein ganzes Leben eine recht dumme Rolle auf-
zunötigen. Denn die Rolle, die der Mann einer
reichen, ganz selbständigen Frau spielt, ist immer
eine sehr dämliche."
„Das kommt darauf an, wie er sie auffaßt."
„Da gibt's nur eine Auffassung. Im Hause
stumm und dumm, denn man hat eben nichts zn
sagen — außer dem Hause — frei, so gut es geht.
Aber meinetwegen — du wünschest es, Papa will
es, Anne-Marie ebenfalls — ich füge mich also der
stärkeren Macht. Mein Aufenthalt in Paris wird
freilich teuer erkauft!"
 
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