480 - - - V35 Luch fül-We
tzeft 22
„Schön! Jawohl und das ist schön!" Olhardt
trat hart vor das Modell. Wie wenn die Alte eine
Wachsfigur wäre, so ruhig glitt seine Hand von
ihrer Stirn, die Nase entlang, bis zum Kinn. „Da
die Linie, ist die etwa nicht schön? Wie da die
Nase ansetzt? Was meine Herren? Und wie der
Kopf auf den Schultern sitzt? Gelt? Freilich, das
Fleisch ist welk, der zahnlose Mund verändert das
Untergesicht, das Kinn steht spitz hervor. Hattest
wohl auch mal glatte Haut und blanke Augen, Alte?
Bist ein schönes Mädel gewesen?"
Uber das alte, müde Gesicht glitt ein flüchtiges
Lächeln. „Lieber Gott, das ist lange her. Das
Leben ist nicht sanft mit mir umgegangen,
Herr!"
Professor Olhardt trat von der Alten fort, wieder
Vas Lamoes-Veakmal in Lissabon, 48Z)
vor Nadine Holzingers Bild. „Das muß Ihnen
die arme Alte also erst erzählen? Das war eigent-
lich ganz überflüssig. Das mußten Sie als Künst-
lerin aus dem Gesicht ablesen, während Sie es
malten. Das mußten Sie herausholen aus der
Tiefe Ihrer eigenen Künstlerschaft. Jede Runzel
in diesem Gesicht ist eine eingegrabene Schrift, man
muß sie nur lesen können. Aber Sie haben nichts
davon verstanden, haben lieber mit den Sonnen-
stäubchen getändelt! Mit Sonne hat dies Leben
aber nicht viel zu tun gehabt! Und wenn Sie schon
die Sonne hereinbrachten, dann mußte die nur dazu
dienen, zu zeigen, wie tief die Runzeln, wie ver-
arbeitet die Hände sind. Haben Sie mich verstanden?
Ja. Nun, dann kommen Sie mir nicht wieder mit
.schön' und .häßlich' — das gibt's nicht in der Kunst.
Das fließt zusammen. In der Häßlichkeit ist oft
die tiefste Schönheit verborgen."
„Was soll ich denn mit dem Bilde machen, Herr
Professor?"
„Erst schämen Sie sich noch eine Weile davor
und dann fangen Sie morgen ein neues an."
„Das wird ebenso schlecht werden."
„Wahrscheinlich noch schlechter. Denn das einzig
Gute an diesem Bilde, die Lichtwirkung, die ver-
kitt' ich mir. Sie sollen sich damit nicht aufhalten,
sondern das üben, was Ihnen schwer wird. Nun
zu Monsieur Roland. Na — da brauch' ich mich
über zu viel Idealismus nicht zu beklagen. Da ist
jede Runzel dick unterstrichen, wenn's möglich wäre,
die Haut noch rissiger, die Arme noch sehniger ge-
malt. Ah, Miß Lucy O'Reilly — ganz brav!
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„Schön! Jawohl und das ist schön!" Olhardt
trat hart vor das Modell. Wie wenn die Alte eine
Wachsfigur wäre, so ruhig glitt seine Hand von
ihrer Stirn, die Nase entlang, bis zum Kinn. „Da
die Linie, ist die etwa nicht schön? Wie da die
Nase ansetzt? Was meine Herren? Und wie der
Kopf auf den Schultern sitzt? Gelt? Freilich, das
Fleisch ist welk, der zahnlose Mund verändert das
Untergesicht, das Kinn steht spitz hervor. Hattest
wohl auch mal glatte Haut und blanke Augen, Alte?
Bist ein schönes Mädel gewesen?"
Uber das alte, müde Gesicht glitt ein flüchtiges
Lächeln. „Lieber Gott, das ist lange her. Das
Leben ist nicht sanft mit mir umgegangen,
Herr!"
Professor Olhardt trat von der Alten fort, wieder
Vas Lamoes-Veakmal in Lissabon, 48Z)
vor Nadine Holzingers Bild. „Das muß Ihnen
die arme Alte also erst erzählen? Das war eigent-
lich ganz überflüssig. Das mußten Sie als Künst-
lerin aus dem Gesicht ablesen, während Sie es
malten. Das mußten Sie herausholen aus der
Tiefe Ihrer eigenen Künstlerschaft. Jede Runzel
in diesem Gesicht ist eine eingegrabene Schrift, man
muß sie nur lesen können. Aber Sie haben nichts
davon verstanden, haben lieber mit den Sonnen-
stäubchen getändelt! Mit Sonne hat dies Leben
aber nicht viel zu tun gehabt! Und wenn Sie schon
die Sonne hereinbrachten, dann mußte die nur dazu
dienen, zu zeigen, wie tief die Runzeln, wie ver-
arbeitet die Hände sind. Haben Sie mich verstanden?
Ja. Nun, dann kommen Sie mir nicht wieder mit
.schön' und .häßlich' — das gibt's nicht in der Kunst.
Das fließt zusammen. In der Häßlichkeit ist oft
die tiefste Schönheit verborgen."
„Was soll ich denn mit dem Bilde machen, Herr
Professor?"
„Erst schämen Sie sich noch eine Weile davor
und dann fangen Sie morgen ein neues an."
„Das wird ebenso schlecht werden."
„Wahrscheinlich noch schlechter. Denn das einzig
Gute an diesem Bilde, die Lichtwirkung, die ver-
kitt' ich mir. Sie sollen sich damit nicht aufhalten,
sondern das üben, was Ihnen schwer wird. Nun
zu Monsieur Roland. Na — da brauch' ich mich
über zu viel Idealismus nicht zu beklagen. Da ist
jede Runzel dick unterstrichen, wenn's möglich wäre,
die Haut noch rissiger, die Arme noch sehniger ge-
malt. Ah, Miß Lucy O'Reilly — ganz brav!