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DasDuchfüvAlie

Heft 10

Anteil an ihm nehmen als ich. Aber Sie sagten doch selbst, es sei
notwendig, ihn zu Selbständigkeit und Selbstvertrauen zu erziehen."
„Helmolt empfindet und deutet es natürlich anders."
„Sie beunruhigen mich. Wie kann er es denn deuten?"
„Er bildet sich ein, das; Sie ihm Ihre Liebe entzogen haben."
„Meine Freundschaft — wollen Sie sagen."
„Sind Sie so sicher, das; er Ihre Teilnahme immer nur für
Freundschaft genommen hat?"
„Ich verstehe Sie nicht. Daß gerade Sie eine solche Frage an
mich richten könnten, hätte ich nimmer für möglich gehalten."
„Bin ich dem Irrtum etwa weniger unterworfen als irgend ein
anderer?"
Ihre Augen wurden angstvoll. Unwillkürlich erhob sie die Hände.
„Um des' Himmels willen, was habe ich getan, daß Sie so zu mir
sprechen."
„Sie haben mir das Recht eingeräumt, offen zu sein. Natürlich
können Sie es mir in jedem Augenblick wieder entziehen. Ich fände
es zum Beispiel ganz begreiflich, wenn Sie mir auf eine weitere
Frage rundweg die Antwort verweigerten."
„Fragen Sie!" sagte sie leise.
„Es war in der Gerichtsverhandlung von einem Briefe die Rede,
den Sie auf der Flucht aus dem Hause Ihres Mannes an Helmolt
geschrieben. Von Ihnen sowohl wie von ihm wurde jede Auskunft über
den Inhalt dieses Briefes abgelehnt. Warum haben Sie das getan?"
„Um jenes Briefes willen also sind Ihnen Zweifel gekommen?
Warum haben Sie nicht schon früher eine Erklärung von mir verlangt?"
„Weil ich keine Veranlassung dazu hatte."
„Und jetzt —?"
„Jetzt haben die Wahrnehmungen, die ich an Helmolt machen
mutzte, mir eine solche Veranlassung allerdings gegeben. Aber ich
gestehe zu, datz es eine dreiste, vielleicht geradezu taktlose Einmischung
in Ihre persönlichsten Angelegenheiten ist. Es besteht für Sie nicht
die geringste Verpflichtung, mir zu sagen, was Sie dem Gericht
verschweigen zu müssen glaubten."
„Sie wissen recht gut, datz das etwas ganz anderes ist. Und doch
fällt es mir jetzt sehr schwer — jetzt, nachdem ich sehen mutzte, datz
Sie nicht mehr an mich glauben."
„Lassen wir es also auf sich beruhen, Frau Marianne."
„Nein — nicht so. Es wäre wohl gleichbedeutend mit dem voll-
ständigen Verlust Ihres Vertrauens. Und ich will nicht, datz Sie
glauben sollen, ich hätte etwas vor Ihnen zu verheimlichen. Was
ich damals an Erich geschrieben habe? Mein Gott, ich war in so
grotzer Aufregung nach dem Schimpf, den ich erlitten. Und ich
kann mich der einzelnen Worte nicht mehr mit voller Deutlichkeit
erinnern. Aber ich weitz bestimmt, datz es autzer der Mitteilung
von meiner Abreise nur zwei oder drei Sätze waren, die ihn beruhigen
sollten. Ungefähr so: Mein Leben wird Dir auch weiterhin gehören
wie bisher. Nie werde ich Dich verlassen. Nur jetzt mutzt Du mir
eine kurze Zeit der Ruhe und Einsamkeit vergönnen. Es sind da
so viele Dinge, mit denen ich nur allein und nur in der Stille fertig
werden kann.' Finden Sie darin etwas Sträfliches?"
Detlefsen ging über die Frage hinweg. Mit steinernem Gesicht
satz er ihr gegenüber. „Im Anschlutz daran forderten Sie ihn dann
noch auf, das Blatt zu vernichten?"
„Ja. Als ich das Geschriebene überlas, hatte ich die Empfindung,
nicht die richtigen Worte gewählt zu haben. Daran, datz Erich sie
recht verstehen würde, hatte ich ja keinen Zweifel. Aber ich fürchtete,
Fremde könnten ihnen eine andere Deutung geben, wenn der Brief
zufällig in ihre Hände fiele."
„Dieselben Erwägungen verschlossen Ihnen dann auch vor Ge-
richt die Lippen. Das verstehe ich wohl, und es fällt mir nicht ein,
Sie deshalb zu tadeln. In einem Punkte aber hatten Sie sich doch
getäuscht. Darin nämlich, datz Helmolt sich den Brief in Ihrem
Sinne deuten würde."
„Was sagen Sie da?" rief sie aufgeregt. „Was ist denn über-
haupt geschehen, datz Sie mich so quälen?"
„Das ist meine Absicht gewitz nicht. Aber man kann nicht
einen Menschen zugrunde gehen lassen, nur weil Halbheiten be-
quemer sind als bindende Entschlüsse. Sie dürfen sich nicht länger
darüber täuschen, datz Helmolt Sie liebt —nicht wie eine Freundin
oder eine Schwester, sondern wie ein Weib, das man begehrt."
Marianne lehnte sich in ihren Stuhl zurück und pretzte die Hände

auf die Brust, als wäre ihr ein schmerzhafter Stich versetzt worden.
„Das ist nicht wahr — es kann nicht sein; es wäre ja entsetzlich."
„Es ist so. Und er leidet darunter, wie eben nur ein Kranker
von seiner Art unter einer unglücklichen Liebe leiden kann. Er hat
nicht den Mut, seine Rechte auf Sie geltend zu machen, weil er
fich nicht mehr als einen vollwertigen Menschen fühlt; aber —"
„Seine Rechte?" fiel sie ungestüm ein. „Was für Rechte? Ich
habe ihm niemals welche gegeben."
„Es mag nicht Ihre Absicht gewesen sein. Aber er lebt nun ein-
mal in dem Wahn, datz das Vergangene ihm einen Anspruch gegeben
habe auf Ihre Liebe, und datz er nur an Ihrer Liebe genesen könne.
Wenn es nicht Ihr Wille ist, ihm zu gewähren, was er ersehnt —"
„Nie —nie—nie! Wie können Sie nur an solche Möglichkeit denken!
Ich mühte ja an dem letzten Menschen irre werden, zu dem ich noch
volles Vertrauen hatte, wenn Sie mir das ansinnen können — das!"
„Ich sinne Ihnen gar nichts an, Frau Marianne. Aber ich würde
es nicht verstehen, wenn Sie jetzt nur noch einen einzigen Tag ver-
streichen lassen könnten, ohne Klarheit in Ihr Verhältnis zu dem
beklagenswerten Menschen zu bringen. Mögen Sie ihm nichts
anderes schuldig sein, Wahrheit schulden Sie ihm auf jeden Fall."
„Es ist furchtbar. Sie haben wohl kaum eine Vorstellung davon,
was Sie damit von mir fordern."
„Es kann für Sie nicht furchtbarer sein, als es für Helmolt der
Zustand ist, in dem er sich jetzt befindet."
Sie hatte die Hände in den Schotz gelegt, und lange betrachtete
sie ihre ineinander gefalteten Finger, ehe sie sagte: „Wenn Sie
glauben, datz es meine Pflicht ist, werde ich mich ihr nicht entziehen.
Was aber soll ich ihm sagen? Haben Sie auch bedacht, wie ich vor
ihm dastünde, wenn Sie sich dennoch getäuscht hätten?"
„Das ist kaum zu hoffen. Und eine Frau bedarf in solchen Dingen
keines Rates. Sie werden bald genug erkannt haben, woran Sie
mit ihm sind?"
„Wie aber wird es auf ihn wirken, wenn ich ihm erkläre, datz
ich — datz ich niemals — nun, Sie wissen ja, was ich meine."
„Da lätzt sich nichts prophezeien. Aber es gibt keinen anderen
Weg als den geraden."
„Sie nehmen eine grotze Verantwortung auf sich, indem Sie
mich zu diesem Schritt zwingen. Wenn Sie wirklich recht gesehen
haben, könnte das Heilmittel leicht schlimmer sein als die Krankheit.
Ja, wenn er gesund wäre —"
„Einmal müsste ihm ja doch Gewitzheit werden. Und er würde in
irgend einer zukünftigen Zeit nicht widerstandsfähiger sein als jetzt."
„Sie sind unerbittlich. Aber ich habe mich noch nie vor der
Erfüllung einer Aufgabe so gefürchtet."
Detlefsen stand auf. „Sie werden den rechten Weg und die rechten
Worte finden. Ich darf ihm also sagen, datz Sie ihn erwarten?"
Mit einem Seufzer nickte sie Zustimmung. „Ich wollte, es läge
schon hinter mir — und hinter ihm. Wenn ich sehen mützte, datz
er unglücklich wird, wäre auch mein Leben für immer verdorben."
„Es ist ja in Ihre Macht gegeben, ihn glücklich zu machen, wenn
Ihnen dies Opfer geringer scheint als das andere."
Ohne Erwiderung hatte sie ihn bis zur Tür geleitet. Da aber
legte sie plötzlich die Hand auf seinen Arm, und wie im Krampf
zogen sich ihre Finger zusammen. „Sie würden nichts dagegen
einzuwenden haben, wenn ich es täte?"
„Was Ihnen Ihr Empfinden vorschreibt, wird immer das
richtige sein. Wie dürften Sie das von meiner Zustimmung oder
von meinen Einwendungen abhängig machen!"
„Es wäre also vergebens, wenn ich Sie um einen Rat bäte?"
„Ich kann Ihnen keinen anderen geben als den, Klarheit zu
schaffen — so oder so."
„So danke ich Ihnen denn für Ihre gute Absicht," sagte sie bei-
nahe tonlos, während ihre Hand schlaff herabsank. „Und ich hoffe,
datz es mir gelingt, den rechten Weg zu finden."
Vom Fenster aus verfolgten ihn ihre Augen, wie er straff aufge-
richtet mit langen Schritten überden Spielplatz der Stratze zu ging. Er
warf keinen Blick zurück; aber das hatte sie wohl auch kaum erwartet.
„Und er glaubt, ein gutes Werk getan zu haben," sagte sie vor
sich hin. Da fühlte sie etwas Warmes auf ihrer Hand, und mit einer-
ungestümen, fast zornigen Bewegung wandte sie sich vom Fenster
weg, als könne der Fortgehende da drunten ihre verräterischen
Tränen sehen. ^Fortsetzung folgt)
 
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