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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1891

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Heft 3/4
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Krell, F.: Mittelalterliche Wohnungsausstattung und Kleidertracht in Deutschland, [2]: Vortrag, gehalten im bayer. Kunstgewerbe-Verein von F. Krell
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https://doi.org/10.11588/diglit.7907#0024

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b 20

schuf, dem dieser Name eigentlich nicht inehr zukommen
kann, denn es verwuchsen die Möbel förnrlich mit den:
Organismus des Hauses).

Zu den Truhen gesellten sich nunmehr, da die Gar-
derobe nicht nur umfänglicher geworden war, sondern auch
einzelne Fraueukleidungsstücke das Gelegtwerden nicht er-

\{. Gotlsisches Schlafzimmer.

Bild der Kölner Malerschule (Meisters der Lyversbergschen Passion: Geburt Mariä),
jetzt in der k. Pinakothek (Lad. I, Nr. 23). Reproduktion eines Stichs von Fr. IVagn er
(D. königl. Bildersaal in der St. Moritzkapelle zu Nürnberg, J833).

trugen, außer den Wandschränken, hohe, gewaltig
schwere Aästen, welche ebenfalls nicht auf abgerundeten
Füßen, sondern auf der Schmalseite der Bretter aufstanden.
Man verzierte sie besonders gerne mit einem flachen Relief,
das durch ein Ausheben des Grundes sich ergab und versah
sie mit einen: kunstreichen Beschläg. Der Grund jenes
Reliefs wurde farbig gehalten, das Eiseubeschläg auf
farbiges Leder gelegt.

Um nun aber kein falsches Bild zu gewinnen, muß man
sich vor Augen halten, daß es die Zeit der Spätgothik
ist, welche uns nicht nur das Meiste hiuterließ, sondern auch
vieles Frühere vernichtete. Die Nichtberücksichtigung dieses Um-
standes führte bei der Wiederaufnahme der Gothik
in unserem Jahrhundert zu
einer unrichtigen Vorstellung von der
Wohnungseinrichtung der Gothik
überhaupt. Die Spät zeit jener
Epoche in Deutschland, das XV.Zahr-
hundert, zeigt uns nämlich einerseits
ihr Wesen in extremer verknöcherter
Gestalt, andrerseits machen sich be-
reits die Zeichen der Auflösung be-
merkbar.

Die Wohnungen bieten nun
allerdings mit ihren Erkern, Bei-
schlägen und Nischen einen originellen,
nialerischen Anblick dar, und bilden
eine kleine behagliche, für sich abgeschlossene Welt, deren
Gestalt und Bestand von ihren Besitzern als dauernd an-
gesehen wurden. Aber in diesen engen niedrigen Gelassen
stockte die Luft, und ein Modergeruch nistete sich ein. Er
gemahnte daran, daß der Geist des Mittelalters dem Aus-
leben entgegenging. War doch bereits in andern Ländern

Nach einem Bilde des Bernhard
Stri g el (J528).

*5. Kästchen.

Nach einem Bilde Hans
Holbeins d. Ae.

die neue Weltanschauung zum Durchbruch gelangt und
hatte nicht verfehlt, auf die Lebensweise, Wohnungs-
ausstattung und Tracht eine tiefgreifende Wirkung auszuüben.
Bei dem großen Wohlstand, der in Deutschland in der
gothischen Spätzeit sich verbreitet hatte und der dadurch
entstandenen Neigung zun: Luxus konnte es nicht ausbleiben,
daß diese fremden Neuerungen trotz der
deutschen Zähigkeit des Festhaltens an der
hergebrachten Weise da und dort Eingang
fanden.

Wie der Respekt vor den, sonst so ehr-
fürchtig betrachteten, heilig gehaltenen alten
Formen sich zu verlieren aufing, das ver-
räth sich sowohl in der Architektur,
als auch bei dem Aufputz der Möbel,
denn bei beiden erlaubte man sich, ein
übermüthiges Spiel mit jenen Formen zu
treiben. Man schweifte die Wimperge und bog ihre Spitze
zu einer Schnecken- oder Wellenlinie um. Man ließ die
Fialen in üppigster Fülle hervorsprießen und in wilden
Krümmungen sich durcheinanderwinden. Das symmetrische
Geäder des Maaßwerkes wurde umgeschmolzen zu flammigen,
fließenden Schnörkeln oder in Baumgeäst verwandelt. Diese
dekorativ überwuchernde Späthgothik hat nun namentlich
für unser neugothisches Mobiliar in der Zeit der
Romantik zum Vorbild gedient. Aber von den: wild
gährenden Geiste des XV. Jahrhunderts, dessen künstlerischer
Abdruck uns aufs Höchste zu interessireu vermag, war bei
jenen ledernen Nachschöpfungen nichts zu verspüren.

Kracht der gothischen Leit.

Wenn wir nun zur Tracht der Gothik übergehen,
so finden wir bei dem Vergleich mit der Tracht der romanischen

Epoche denselben Gegensatz zwischen cis- und transalpinem
Wesen, wie bei der Wohuungsausstattung. Frankreich und
später Burgund waren auch für die Tracht die tonan-
gebenden Länder. Hatte man früher bequeme weitfaltige
lange Gewänder getragen, so schnitt inan sie jetzt immer
enger, knapper und kürzer zu, ganz eutsprechend der sehnigen
 
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