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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1891

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Heft 9/10
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Hofmann, Albert: Das Kunstgewerbe Indiens, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7907#0065

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der spielend graziösen, leichten und bestrickenden Weise
ihres Auftretens in hohem Grade dazu beiträgt, den
Materialismus der natürlichen Erscheinung zu bannen und
das Gebilde für den menschlichen Beschauer absichtslos zu
vergeistigen, es mit einer Atmosphäre zu umgeben, die
Gegenstand und Beschauer den irdischen Sphären zu ent-
rücken trachtet. Das ist die geheimnißvolle, unwidersteh-
liche Macht der Pflanzenwelt, in den Tropen hauptsächlich,
die so weit gehen kann, daß sie selbst die Herrschaft des
menschlichen Intellectes ihrem perrscherbereiche unterordnet.

Es sind eine Reihe mächtiger vegetabilischer Erschein-
ungen, die den Lharakter der tropischen Vegetationswelt
bestimmen. Die indische Welt steht hier allen andern
Ländern voran, was künstlerischen Eindruck der Vegetation,
Reichthum der Erscheinung und Mannigfaltigkeit der Arten
anbelangt. Zierliche Form steht neben sattem Farbenschmelz
und erdrückende Ueppigkeit neben maßloser Produktionskraft.

Indische Kanne.

(Nordböhmisches Gewerbemuseum in Reichenberg.)

Demnach kommt der Lharakter der Neberfülle der indischen
Naturproduktion nur selten in unharmonischer Weise zum
Ausdruck, sondern jedes Ding ordnet sich dem andern je
nach Bedürfniß bei oder unter. Es ist eine Welt bestrick-
endsten Märchenzaubers, welche die indische Natur dem
Menschen schenkte.

Pflanzen- und Thierwelt bieten Beispiele unendlicher
Lebensfülle und übermächtiger Rraft. Vom „süßen Roil,
dem weisesten der Vögel, der Liebe Boten, dem melodischen
Waldsänger" (Urvasi Akt), geht der unermeßliche Ge-
staltenreichthum bis zu den Elephantenungethümen, ver-
wandter früheren Schöpfungen als der gegenwärtigen
Trde, ohne daß scharfe Rontraste, schroffe Gegensätze, vor-
zugsweise aber das Streben, der menschlichen Persönlichkeit
keinen anderen Spielraum, als den der Einordnung in
diese fertige göttliche Thierwelt zu lassen, dabei gespart
würden. Im Einklang mit dem Lharakter dieser lebend-
igen Welt stehen die klimatischen Phänomene, welche Bilder

des gewaltsamen Umspringens zwischen Extremen des
unmittelbaren Aneinanderreihcns des Entgegengesetzten
darbieten. So wissen wir von der Rüste von Malabar,
daß, wenn sich die nordöstlichen Monsuns mit den süd-
westlichen das Gleichgewicht halten, die Luft süß wie Opium
berauscht und den sinnlichsten Reiz weckt, — daß nach einer
wochenlangen Regenzeit urplötzlich die üppigste Vegetation
zauberartig hervorschießt, darauf aber durch den Sonnen-
brand alles Grün zum verdorrten Braun versengt wird,
die Sehnsucht nach dem Regen den höchsten Grad erreicht:
„Der Pimmel glüht wie Erz, die Erde wie Eisen." In
Travankore stellen sich die Südwestmonsuns, die ganze
Natur in Aufregung versetzend, im Mai ein. Es erfolgen
dann wahre Donnerkanonaden, die Luft gleicht einem
angefüllten Schwamme, die Erdoberfläche wird mit einer
feuchten Salzkruste überdeckt, Bäche verwandeln sich in
reißende Ströme und führen Alles, was in ihre Gewalt
kommt, unwiderstehlich den Meerungeheuern als Beute
zu. Nach dem ersten heftigen Losbruche hellt sich der
Pimmel auf, „statt der trockenen Felder, leeren Bäche,
staubigen Winde, dürrer Atmosphäre, durch welche die
Sonne noch kurz zuvor trübe und roth ihre Gluthstrahlen
schoß, werden der Boden saftgrün, die Flüsse vollusrig, die
Lüfte rein, balsamisch, der blaue, klarste Pimmel überzieht
sich mit farbig spielenden Wolken, die ganze Natur ist mit
einem Zauberschlage neu belebt."

„Im alten Zentralindien offenbart die Natur ihren
typhonischen Lharakter in den Iunitagen. Bei tiefblauem
piinmel brennt die Atinosphäre, Todenstille herrscht, kein
Blatt regt sich, nirgends, selbst nicht im Schatten der
Tamarindenwälder wird eine Rühlung geboten. Des
Menschen bemächtigt sich eine Art Tollheit, die Vögel mit
offenem Schnabel lassen die Flügel hängen, nur der Guckuck
schreit heiser — es ist ein Verzweiflungsruf an den im
Aebermaß des Lebens tödtenden Pimmel." (Springer.)

Es begreift sich, daß neben einer so gewaltigen Natur-
entsaltung der Mensch sich erdrückt fühlt. Das Naturleben
ist zu mächtig, als daß der menschliche Intellekt es wagen
könnte, im gemeinsamen Bunde mit ihm eine That zu voll-
bringen, die es vermöchte, das pindämmern des Menschen
in beschaulicher Beharrlichkeit in aktive Theilnahme an
den Vorgängen um ihn her zu verwandeln. Freilich steht
der Mensch der gewaltigen Naiur nicht in absoluter Theil-
nahinslosigkeit gegenüber: ein instinktives Interesse ist
geblieben, „von der Natur umgeben, fühlt der Mensch
sich nicht einsam, denn sie versteht seinen Schmerz, sie theilt
seine Freude. Die Pflanze, die scheinbar theilnahmslos
dasteht, das Thier, welches den: Menschen zufällig entgegen-
tritt, kann plötzlich handelnd in sein Schicksal eingreisen. Auch
ist der Mensch immer geneigt, gelegentlich aus seiner geistigen
Thätigkeit, aus der praktischen Verfolgung seiner Zwecke
herauszutreten und in die Anschauung der Natur sich zu
vertiefen. Das beschauliche Leben, welches die Frommen
im heiligen pain, mitten unter Thieren und Pflanzen
führen, ist momentan eines Jeden Bedürfniß." (Briefe
über Rosmos.) Es ist also nicht das aktiv handelnde
Interesse, das thätige, schöpferische Element, welches der
Europäer zeigt und welches in so scharfem Gegensatz zu
dem fossilen Elemente Indiens steht. Es hat vielleicht
im indischen Volke auch nicht an Versuchen gefehlt, gegen

Zeitschrift des bayer. Aunstgowcrbe-vereins München.

Heft 9 & 10 (8g. 2).
 
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