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Burckhardt, Jacob; Dürr, Emil [Hrsg.]
Vorträge 1844 - 1887 — Basel, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.30685#0209
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AUS GROSSEN KUNSTSAMMLUNGEN

16. UND 30. JANUAR 1883.

Den gewaltigen Vorrat der in den Gaierien gesammelten Bilder(l)
schickt sich der heutige gebildete Mensch an, kurzweg sich
anzueignen, ja denselben ohne Weiteres „genießen“ zu wollen.
Das was Jahrhunderte zur Reife gebraucht hat, soll beim ersten
Anblick schon den Bildern rasch abgewonnen werden. Bald aber meldet
sich das Gefühl, daß diese Kunstwerke der Vergangenheit auf ganz
anderm Wege zu Stande gekommen sein möchten, als das meiste, was
jetzt geschaffen wird.

Das heutige Organ, durch welches die Kunst zu den Bevölkerungen
redet, sind wesentlich und vorherrschend die großen Ausstellungen mit
ihrer Art von Wetteifer; dieser legt sich auf das Gewinnende und Rei*
zende, auf das Zierliche und Pikante, Ueberraschende und Gefühlvolle,
die Illustration von Zeitideen und Zeitsympathien; den Ausstellungen
zur Seite geht eine Tagespresse, in welcher die Beschauer sich Rats ers
holen. In Summa: der Beschauer findet das größte denkbare Entgegen«
kommen.

Die ganze vergangene Malerei dagegen kommt uns gar nicht enU
gegen; sie ist nicht für Ausstellungen, nicht um jedermann zu gewinnen,
nicht begleitet von irgend einer Publizität geschaffen worden; der darin
lebende Wille war schon der damaligen Zeit gegenüber ein anderer, und
vollends gegenüber von uns. Kunst und Künstler waren anderer Art,
und andere Kräfte als die jetzigen miissen über sie und ihr Wohlergehcn
verfügt haben.

Daher denn manchen aufrichtigen Beschauer in den Galerien ein
Gefühl der Fremde überkommt, der Unbehaglichkeit gegenüber jenem
Willen einer vergangenen Zeit. Ein solcher möge die Galerien einfach
auf sich beruhen lassen. Es gibt ausgezeichnete Menschen, welchen die
Kunst der Formen nichts sagt, während zum Beispiel Poesie und Musik
sie auf das tiefste ergreifen. Man denke an Schiller in der Dresdener
Galerie, erinnere sich, daß Lord Byron gleichgültig gegen die bildende
Kunst war; ja es gibt Menschen von trefflichem Charakter und großer
Intelligenz, welche für gar nichts empfänglich sind als für das unmitteb
bare Leben, welches sie sich und ihrer Umgebung verschönern können
durch Güte und Geist.

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