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Burckhardt, Jacob; Dürr, Emil [Hrsg.]
Vorträge 1844 - 1887 — Basel, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.30685#0218
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DIE GRIECHEN UND IHRE KUNSTLER

30. OKTOBER 1883.

Kunst und Poesie der Griechen gelten uns Spätgeborenen ziem?

lich unwidersprochen als das höchste und herrlichste, was sie
geleistet; erst in zweiter Linie kommt ihr Wissen und Forschen
und erst unter Vorbehalten versehiedener Art ihr Staatsleben
an die Reihe. Es liegt uns nahe, eine ähnliche Hochschätzung der Kunst
und der Künstler bei den Griechen selber vorauszusetzen. Wenn man
sich griechische Tempel der Blütezeit mit ihren vom Giebel herab*
leuchtenden Gruppen, ihren Hallen voller Anatheme, ihren Kultusbildern
höchsten Ranges vorstellt, so zweifelt man zunächst nicht daran, daß die
Schöpfer solcher Herrlichkeiten unter den Einwohnern eine Ehrfurcht
genossen hätten fast wie übermenschliche Wesen, daß es möchte als
Glück gegolten haben, ihnen zu nahen und als ein unvergleichlicher
geistiger Genuß, irgendwie von ihrer Gefühlswelt Kunde zu gewinnen.
Es wird sich nun zeigen, daß und weshalb es sich hiemit ganz anders
verhielt.

Das Ideal des griechischen Lebens war bekanntlich die volle Muße
{äcpdovca ausgefüllt in der frühern Zeit durch den Wettkampf, in

der spätern durch das Treiben im Staat. Wer nicht mithalten konnte,
mochte beneidend oder bewundernd daneben stehen. Die Zunahme des
Sklaventums beförderte die Verachtung der Arbeit, auch der freien, so
sehr man derselben auch bedurfte. Der Grieche war ein geborener
Kaufmann und Seefahrer, und die Gefahren des Meeres, wo man 10%
der Schiffe pflegte verloren zu geben, mochten dem Gewerbe wahrlich
einen gewissen heroischen Gianz verleihen; aber gleichwohl sieht man
zum Beispiel während der sogenannten Blütezeit Athens nicht, daß Kauf?
leute und Seefahrer gesellig oder politisch hervorgetreten wären; und
dabei war Athen doch eines der größten Assortiments für Waren aller
Art, und das Seevolk hatte die Perser besiegt. Dem Ackerbau ist sein
uralter Adel nie ganz zu benehmen gewesen und sein Zusammenhang
mit der Kriegstüchtigkeit sprang in die Augen; dennoch verurteilt ihn
Plato in seinem Idealstaat zur Knechtschaft, und Aristoteles will auch
den freien Bauer kaum am Staat Teil nehmen lassen — weil eben dieser
Stand nicht mehr der vollen äpszrj, d. h. des Wertes als Bürger fähig er#
schien. Schon viel tiefer standen in der Wertschätzung trotz aller
Mahnungen Solons die Gewerbe, deren Betrieb auch vorwiegend den

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