UBER ERZAHLENDE MALEREI
11. NOVEMBER 1884.
Das unermeßliche Thema, welches in diesem Titel liegt, wäre
weder unsere Sache noch die Aufgabe einer Stunde. Was
wir zu geben haben, sind nur einige zerstreute Betracht*
ungen, wie sie sich auf Wanderungen durch Monumental?
bauten undGalerien von selbst aufdrängen können, zumal in großenMitteh
punkten der Kunst, wo das massenhafte Alte neben dem massenhaften
Neuen zu uns spricht. Mit Absicht wurde auch als Titel nicht der Aus*
druck „Historische Malerei“ gewählt; denn dieser Begriff erlitt im Laufe
der Zeiten zu gründliche Wandlungen. So besteht beispielsweise ein
sehr bedeutender Unterschied zwischen der modernen Historienmalerei
und dem, was man am Anfang des XVIII. Jahrhunderts hierunter
verstand.
Am meisten fällt in die Augen: die monumentale Malerei.
Um 1700 arbeitete die profane Malerei für die Verherrlichung von
Dynastien und Korporationen, teils in Gobelins, teils in umfangreichen
Gewölbefresken, mit Umsetzung der Macht in Allegorie und Mythologie,
von Lebruns großer Galerie in Versailles bis zu Tiepolos Treppenhaus
von Würzburg.
Diesem allem stellt das XIX. Jahrhundert gegenüber eine Gesamt?
leistung, welche in Masse und Charakter nicht nur von dieser, sondern
von jeder Vergangenheit ganz wesentlich abweicht und oft die größten
künstlerischen Kräfte der Zeit in ihrem Dienst hatte und noch hat.
Es sind nicht mehr die gewölbten Decken, sondern die Wände, es
ist nicht mehr ein allegorischer Olymp, sondern es ist Tatsächlichkeit;
es sind weniger die Dynastien, welche dargestellt werden als vielmehr
Momente aus den Geschichten der Völker. So liegt vor der modernen
Malerei das mächtige, unabsehbare, nie zu erschöpfende Thema der
ganzen Weltgeschichte.
In den gewaltigen öffentlichen Neubauten unseres Jahrhunderts
lassen mächtige Regierungen die wichtigsten, zumal politischen Ereig?
nisse aus der Geschichte ihres Volkes malen, bisweilen in großen Zyklen,
in Oel oder in Fresko. Louis Philippe füllte schon das öde Schloß von
Versailles mit dem Musee historique an; der mittlere Stock des Münchner
NationaLMuseums enthält die ganze Geschichte Bayerns und des Hauses
250
11. NOVEMBER 1884.
Das unermeßliche Thema, welches in diesem Titel liegt, wäre
weder unsere Sache noch die Aufgabe einer Stunde. Was
wir zu geben haben, sind nur einige zerstreute Betracht*
ungen, wie sie sich auf Wanderungen durch Monumental?
bauten undGalerien von selbst aufdrängen können, zumal in großenMitteh
punkten der Kunst, wo das massenhafte Alte neben dem massenhaften
Neuen zu uns spricht. Mit Absicht wurde auch als Titel nicht der Aus*
druck „Historische Malerei“ gewählt; denn dieser Begriff erlitt im Laufe
der Zeiten zu gründliche Wandlungen. So besteht beispielsweise ein
sehr bedeutender Unterschied zwischen der modernen Historienmalerei
und dem, was man am Anfang des XVIII. Jahrhunderts hierunter
verstand.
Am meisten fällt in die Augen: die monumentale Malerei.
Um 1700 arbeitete die profane Malerei für die Verherrlichung von
Dynastien und Korporationen, teils in Gobelins, teils in umfangreichen
Gewölbefresken, mit Umsetzung der Macht in Allegorie und Mythologie,
von Lebruns großer Galerie in Versailles bis zu Tiepolos Treppenhaus
von Würzburg.
Diesem allem stellt das XIX. Jahrhundert gegenüber eine Gesamt?
leistung, welche in Masse und Charakter nicht nur von dieser, sondern
von jeder Vergangenheit ganz wesentlich abweicht und oft die größten
künstlerischen Kräfte der Zeit in ihrem Dienst hatte und noch hat.
Es sind nicht mehr die gewölbten Decken, sondern die Wände, es
ist nicht mehr ein allegorischer Olymp, sondern es ist Tatsächlichkeit;
es sind weniger die Dynastien, welche dargestellt werden als vielmehr
Momente aus den Geschichten der Völker. So liegt vor der modernen
Malerei das mächtige, unabsehbare, nie zu erschöpfende Thema der
ganzen Weltgeschichte.
In den gewaltigen öffentlichen Neubauten unseres Jahrhunderts
lassen mächtige Regierungen die wichtigsten, zumal politischen Ereig?
nisse aus der Geschichte ihres Volkes malen, bisweilen in großen Zyklen,
in Oel oder in Fresko. Louis Philippe füllte schon das öde Schloß von
Versailles mit dem Musee historique an; der mittlere Stock des Münchner
NationaLMuseums enthält die ganze Geschichte Bayerns und des Hauses
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