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Burckhardt, Jacob; Dürr, Emil [Hrsg.]
Vorträge 1844 - 1887 — Basel, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.30685#0312
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UBER PROZESSIONEN IM ALTERTUM

10. NOVEMBER 1885.

Die heutige Welt liebt im ganzen die Zeremonien aller Art
nicht sehr; man sieht etwa gerne ein Weile zu, wenn es
glänzend dabei hergeht, aber man ist weniger gerne ein Teil-
nehmer, und die meisten Leute finden, es sei Zeitverlust und
die wirklichen großen Geschäfte dieser Welt gingen ohne dies vor sich.

In vergangenen Zeiten war es anders. Die Religionen insbesondere
verlangten nach großen und vielartigen Aeußerungen ihres Kultus, und
die Völker brachten nicht nur ihre Andacht, sondern auch ihr künstler?
isches Vermögen herbei, um denselben zu verherrlichen, und ihr Ver*
ständnis für alles Symbolische. Dies Verständnis ist uns fast völlig
abhanden gekommen.

Unsere Bildung hat aber noch nicht die Gewohnheit, das Ver?
gangene einfach auf sich beruhen zu lassen, sondern aus der Betrachtung
der Gegensätze der verschiedenen Zeiten und Völker zieht sie einen
sehr mächtigen Teil ihrer Belehrung. Für unser vorliegendes Thema sind
ohnehin die vorhandenen Kunden reich zu nennen.

Die bildliche Kunde besteht in zahlreichen Denkmälern, ge?
meißelten und gemalten, welche den Kultus in seinen beiden großen
Aeußerungen, Opfer und Prozession, darstellen. In den ägyptischen
Tempeln und in den Palästen von Ninive sind ganze Wände voll solcher
Zeremonien gefunden worden; auch die persische Skulptur stellt gerne
feierliche Gottesverehrung dar; aber auch von den Werken der klassi?
schen Kunst gehört ein wichtiger Teil hieher, wobei wir die römischen
Denkmäler übergehen und bloß der griechischen gedenken wollen. In
dieser Welt von abgebildeten Kultushandlungen und priesterlichen Ge?
stalten entdeckt man allmählich einen tiefern Sinn; es sind nicht bloße
Erinnerungen für die künftigen Geschlechter, nicht bloße Denkmäler,
sondern die im oder am Tempel angebrachte Abbildung sollte auch der
Gottheit selbst gegenwärtig halten, wie man ihr durch Opfer und Zug
gehuldigt habe und stets wieder huldigen werde. Dabei war es eine im
ganzen beglückende Aufgabe für die ideale Kunst.

Die schriftlichen Kunden bestehen aus einer Menge von einzelnen
Nachrichten in alten Schriftstellern, auch wohl in Inschriften, und aus
einigen mehr oder weniger umständlichen Beschreibungen. Aus dem

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