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Burckhardt, Jacob; Dürr, Emil [Hrsg.]
Vorträge 1844 - 1887 — Basel, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.30685#0410
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Weit das wichtigste erhaltene Werk der letztern Art ist eine vath
kanische Marmorstatue, Nachahmung eines berühmten Bronzewerkes
von Eutychides. Wir sehen die verklärte Darstellung der großen An#
tiochia am Orontes; sie sitzt auf einem Fels als Andeutung der steilen
Lage der Stadt, den Kopf auf den Arm und diesen auf den überge*
schlagenen Schenkel gelehnt, den andern Arm rückwärts gestützt, in der
denkbar anmutigsten Wendung; unter ihren Füßen taucht in halber
Figur der jugendliche Flußgott Orontes empor. Ist es aber wirklich eine
Allegorie?

Die spätern, äußerst abergläubigen Antiochener flüsterten sich eine
Sage zu. Als König Seleukos, einer der gewaltigsten Marschälle des
großen Alexander, die Stadt gründete, soll man deren künftiges Glück
durch ein Menschenopfer habe sichern wollen; inmitten der anzu?
legenden Stadt, an vorbestimmtem Tage, bei Sonnenaufgang, hat der
Weihepriester Amphion die schöne Jungfrau Aimathe geopfert; dann
hat man ihre Gestalt in Erz gebildet und aufgestellt als Tyche, das heißt
als vergötterte Darstellung der Stadt.

Und so würde vielleicht in jenem herrlichen Gebilde die Gestalt
eines unglücklichen Mädchens fortleben, welches in hochkultivierter Zeit
einem elenden Aberglauben zum Opfer gefallen und dann vergöttlicht
worden wäre. Suchen wir eine harmlosere Grundlage für diesen Mythus:
Oft mag eine berühmte Schönheit dem Bildner als Typus gedient haben,
wenn er die Göttin ihrer Heimatstadt zu erschaffen hatte, und sie durfte
in Glück und Ehren ausleben.

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