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Denkmalpflege: Auszug aus d. stenograph. Berichten d. Tages für Denkmalpflege 1900 - 1912 — 1.1910

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IV. Kommunale Denkmalpflege
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Freilegung und Umbauung alter Kirchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.29654#0468

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Freilegung alter Kirchen.

Freilegung und Umbauung alter Kirchen
Lübeck 1908

Referent: Geheimer Hofrat Professor Dr. C. Gurlitt-Dresden:

Meine geehrten Herren! Der Parthenon steht frei, das Erechtheion,
obgleich ein Gruppenbau, steht frei. Es ist die Akropolis ein kunstgeweihter
Ort, der jedem Architekten ein Maßstab für seine Auffassung des künst-
lerischen Schaffens sein wird. Es ist den Griechen nicht eingefallen, die beiden
Hauptwerke zu einem Gruppenbau zusammenzustellen, ein geschlossenes Bild
in dem Sinne herzustellen, wie wir es heute zu schaffen heben. Die Pläne,
die ein Bramante, ein Michel Angelo für ihre großen Baudenkmäler gemacht
haben, sind in einer Weise ausgeführt, daß man ohne weiteres sieht: diese
Bauten sind als frei stehend gedacht worden. Yon den Zeiten Leon Battista
Albertis an bis in die Zeit, wo der große Mailänder Bischof Carlo Borromeo
für das Kirchenbauwesen die entscheidende Regulative herausgab, ist man
sich vollkommen klar darüber gewesen, daß eine Kirche frei zu stehen habe;
daß eine solche Kirche symmetrisch auf eine Achse komponiert sein müsse,
womöglich sogar auf mehrere Achsen; und daher ist es kein Zufall, daß
während der ganzen Renaissanceperiode der Zentralbau die allerhöchste
Würdigung gefunden hat, daß er, wie Jakob Burkhardt sagt, die letzte der
Konsequenzen nicht allein der italienischen Renaissance, sondern auch die
absolute Bauform darstellt. Gerade in einem Zentralbau ist die Einheit
in der Vielheit am allerbesten vertreten, die man damals als ein Ziel alles
Schönen erstrebte; zumal wenn er vollkommen symmetrisch ist, nicht nur
auf eine Achse hin, sondern für alle möglichen Achsen, die man durch den
Bau hindurchzieht.

Wir können also mit Sicherheit sagen, daß die Renaissance, daß ihre
Vorgängerin, die Antike, und daß ihre Nachfolger, die noch im 19. Jahr-
hundert das entscheidende Wort in unserer Architektur gesprochen haben,
von dem Gedanken beseelt gewesen sind, eine echte, groß gedachte Architektur
müsse ideale Werke schaffen. Diese hätten zwar dem Zwecke zu dienen, für
den sie geschaffen sind, bei ihnen sei aber das letzte, höchste Ziel, in jedem
Bau eine vollkommen in sich geschlossene Architektur zu schaffen, mit jeder
Einzelschöpfung die höchste Architekturform zu erreichen; und zwar wo-
möglich bei jeder auch noch so kleinen und unbedeutenden Aufgabe.

Dieser in hohem Grade idealistische Standpunkt ist nicht mehr der
unsrige. Wir berufen uns nicht mehr so sehr auf die Antike als auf unsere
eigene Kunst, auf die des Mittelalters im Korden; auf die Kirchenbauten,
die geschaffen worden sind in unseren Städten und in den Städten der Nach-
barländer. Aber auch hier, am Plan einer gotischen Kirche, einer romanischen
Kirche ist auf das sorgfältigste, wenn nicht verschiedene Hände nacheinander
an ihm gearbeitet haben, also nach seiner ursprünglichen Gestalt, die Achsen-
stellung betont worden. Auch im Mittelalter war also das Ziel eine voll-
ständig symmetrische, auf Achse gerichtete Architektur. Und diese Archi-
tektur kommt nur zur vollen Würdigung, wenn das betreffende Gebäude
frei im Raume steht. Wir können das an unseren Städten im Osten sehr
deutlich beobachten, in den Städten, die mehr das Ergebnis einer überlegten
Planung sind als die älteren Städte des Westens, indem nämlich hier die
 
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