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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,2.1916

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Heft 7 (1. Januarheft 1916)
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Classen, ...: Die Jugendlichen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14292#0023

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demoralisieren sehr schnell. Dann kommen volksfremde, slawische Elemente.
Soweit diese nicht germanisiert werden können, — und dazu sind manche
zu fremd, andre zu niedrig im Rassenwert, — mischen sie sich natürlich
in diese Schicht der Fäulnis. Zu all diesem kommt nun aber sehr zahl«
reich der Abfall aus allen höheren Schichten. Es ist klar, daß wenn in
einer Gesellschaft diese linke Seite der Unterschicht zu sehr sich ausbreitet,
der Unterbau morsch ist; eines Tages muß die ganze Pyramide einstürzen.
Dann folgt das Chaos, aus dem erst durch lange Iahrhunderte der Völker-
schiebungen ein Neubau entstehen kann.

Das ist die Wirklichkeit. And nun wollen wir uns nicht verhehlen:
eine der Gefahren des Krieges — übrigens wohl in allen Ländern — ist
die, däß der dritte und vierte Stand sich vermindere und der fünfte ver-
mehre. So manches kleine Geschäft wird zugrunde gehen, der Prozeß
also wiederholt sich dann, daß eine Familie vom Kleinbürgertum zum
Proletariat hinabsinkt, tiefer als der in fester Arbeit stehende Geselle oder
Arbeiter. Iene Entfremdung zwischen Kindern und Eltern stärkt alle An«
stetigkeit und Zerfahrenheit in dem jungen Geschlecht und wird viele
hinabführen in den Zustand des untersten ProletariaLs. Wir sehen aber
jetzt im Kriege, was doch die Männer in der Familie, selbst im hastigen
Großstadtleben, für die Erziehung bedeuteten. Die Iugend erscheint wie
ein Fluß, der in festen Afern floß; nun sind diese geschwunden und alles
scheint auseinanderzulaufen. Wenn der Vater gefallen ist, oder die älte-
sten Söhne der Witwe, und nun das Kindervolk um die ratlose Mutter
herum wirtschaftet, auf die Straße stürmt und wieder hereintobt, so wird
es uns angst und bange. Wie viele von diesen unschuldigen Wesen wer-
den noch zu einer Last für den Staat werden! Wohlgemerkt, das ist ja
nicht überall so, keineswegs! Aber es ist doch oft so. And das alles
bedroht uns mit einer Verbreiterung jener faulenden Partien im Fun-
dament der Gesellschaftspyramide.

Wir wollen uns die Gefahr, aber auch den Ausweg aus der Gefahr
an einem geschichtlichen Beispiel deutlich machen. Die alten Römer ge-
wannen im zweiten punischen Kriege die Vorherrschaft über die Mittel-
meerländer. Es war die Schicksalsstunde ihrer Geschichte. Aber in dem
langen Kriege erschöpften sie die Arkräfte ihres Volkstums, die lateinische
Bauernschaft. Iahr für Iahr standen die Männer im Felde, ihre Reihen
lichteten sich. Dann aber flossen mit dem Siege große Reichtümer nach
Rom, der tzandel des Mittelmeers konzentrierte sich dort. Die reichge-
wordenen Ritter und Senatoren kauften die tzufen der verarmten Bauern
zu großen tzerrschaften zusammen, die sie mit Sklaven bewirtschafteten.
Sklaven waren aus den Scharen der Kriegsgefangenen massenhaft zu
kaufen. Der Rest des Bauerntums aber strömte als Proletariat in Rom
zusammen. Als später die Sklaven nicht mehr so reichlich zu haben waren,
ging die Wirtschaft auf den Latifundien in Weidewirtschaft über, und einst
schönes Ackerland verwandelte sich in jene Steppe, deren Anblick noch
heute den Reisenden erschreckt. Rom aber konnte des Ackerbaus ent--
behren, weil die Provinzen das Korn lieferten.

Auch wir heute sind zu unerhörten kriegerischen Leistungen gezwungen
und kämpfen um eine große Zukunft, und viele Familien werden in ihren
Grundlagen erschüttert. Aber in einem Punkte ist unsere Lage genau
umgekehrt. Wir sehen, wie notwendig für uns die Landwirtschaft im
eigenen Lande ist. Wohl besorgen auch wir jetzt die Ernte mit Kriegs»

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