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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,2.1916

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1916)
DOI Artikel:
Witte, Johannes: Was bedeutet Chinas Kaisertum?
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https://doi.org/10.11588/diglit.14292#0117

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dienst, durch den diese Segnungen vom Himmel der Erde übermittelt
werden. Ist Dürre oder Aberschwemmung, Mißwachs und bittere Mt
im Lande, so ist das ein Zeichen dafür, daß die tzarmonie zwischen Himmel
und Erde gestört ist. Dann hat der Kaiser seine Pflicht nicht getan, er ist
unrein, sündig geworden, unfähig seines gott-menschlichen Mittleramtes,
er muß durch einen andern ersetzt werden. So ist der Gedanke einer Kaiser-
entthronung in China gar nicht neu. Wie oft haben die Herrschergeschlech-
ter gewechselt! Aber eben ein Kaiser muß da sein, sonst fehlt ja die Ver--
bindung zwischen Himmel und Erde, die Grundvoraussetzung des Gedeihens
der ganzen Welt.

Das wirksamste Mittel zur Pflege dieser Beziehungen sind die Opfer
am Himmelsaltar in einer Vorstadt Pekings. In einem Hain von uralten
Zypressen steht dort ein Haus, aus weißem Marmor, darin der Kaiser
fastend und betend die letzte Nacht verbringt, ehe er das Opfer vollzieht.
In der Mitte des tzaines ist ein großer freier Platz. Auf ihm liegt, gleich-
falls aus schneeweißem Marmor erbaut, aus dem tiefdunklen Grün der
Bäume wunderbar lichtvoll sich heraushebend, die schönste nichtchristliche An-
betungsstätte der Welt. In dreifacher Terrasse steigt die Plattform auf,
auf der das Opfer geschieht. Unter freiem tzimmel fleht hier der Kaiser —
er allein darf und kann es — die oberste Gottheit an um Segen für die
ganze Welt, und Brandopfer, Blut und kostbare Gaben versinnbildlichen
unter den Klängen heiliger Musik die tzingabe der Menschheit an ihren
Schöpfer und Erhalter. So sagt das uralte chinesische Buch der Bräuche:
„Wenn der Große Mann (der Kaiser) diese Feier unter Musik vollzieht, so
tauschen durch sein Mittleramt tzimmel und Erde ihren segensreichen Einfluß
aus. Sie Lreten in glückspendende Verbindung, und ihre Kräfte, jetzt sich
ausdehnend, jetzt sich sammelnd, wirken zur Schaffung bester tzarmonie/'
„Der Atem der Erde steigt empor und der des tzimmels steigt herab. In
ihrer ausdehnenden und sich zusammenziehenden Wirkung kommen beide
zur Vereinigung, und tzimmel und Erde durchdringen einander.^

Diese Gedanken und Einrichtungen bilden seit Iahrhunderten die wich-
tigste Grundlage des chinesischen staatlichen, sozialen und religiösen Lebens.
Die SLaatsverfassung, die Familien-Ordnung, der Ahnenkult, der Kult
der zahlreichen Rntergötter durch die Beamten, die Ethik des Konfuzius, die
Volksmoral, alles ruht auf diesem tzauptdogma der chinesischen Kaiseridee.

Da brach mit roher Gewalt der Westen hinein in diese Welt. Ihm war
nichts Chinesisches heilig. Der „Sohn des tzimmels" mußte diesen „Vasallen
des Mittelreiches^, das heißt Chinas, sich fügen. Spott fiel auf die alt-
bewährten chinesischen Grundlehren, und der Einfluß englischer, und mehr
noch amerikanischer Demokratie durchtränkte das junge Geschlecht mit der
Vorftellung: gerade dieser „heilige" Kaiserkult ist schuld an Chinas Nieder-
gang, China muß sich modernisieren; die Republik ist die einzig moderne
Staatsform. Wie sonderbar aber war das, daß auch die Iapaner, die
heute noch ihren Kaiser sogar als Gott anbeten — was die Chinesen nie
getan —, daß diese Iapaner ihren Vettern, den Chinesen, zuredeten, die
Republik sei die einzig zeitgemäße Staatsform!

Alle diese „Freunde Chinas^ wußten wohl, warum sie dies taten: sie
wollten China erst schwächen und dann im Trüben fischen. Zunächst er-
reichten sie ihr Ziel. China wurde eine „Republik".

Aun war kein Kaiser mehr da, keine Verbindung zwischen tzimmel
un- Erde. Wie follte China da gedeihen? Die ganze Welt kann nicht
 
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