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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,2.1916

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Heft 10 (2. Februarheft 1916)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14292#0181

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einander nnt Kanonen spielen. Dann
spreizte er die Finger. Durch rann
das Wasser. And die Flotten leg-
ten sich erschlafft zur Seite, die eine
wie die andre.

Den Frauen schrie er in die
Ohren: „Berechnet habt ihr eure
Kinder! Erlaubt einmal, daß ich
die Rechnung korrigiere!" Und sein
Stahlstift strich ganze Heere von den
Schiefertafeln des Lebens. Iknd von
dem Schoß der Mütter streifte er das
ökonomische Geschnür.

Steiler ging des Krieges Weg,
den höchsten Berg hinan, auf dessen
Spitze sich der tzerrscher der Be-
rechnungen geflüchtet hatte. Die
tzeere der Wurzeln, der Brüche und
der Potenzen sperrten seinen Weg.
Aber er zerteilte sie, wie man
Schaum teilt, und wischte mit
einer gleichgültigen Armbewegung
die tzerrscherin Berechnung von des
Berges Spitze.

Auf sein Geheiß schoß eine steile
Flamme aus der Bergspitze, hoch
hinauf bis an die tzimmel, und ihr
Glutschein überspielte zitternd alle
Welt. Die Menschen aber hoben
die zerrechneten Stirnen mit heili-
gen Schauern zu der donnernden
Flamme auf dem Berge und lern-
ten wieder sich verneigen vor der
unendlichen Unberechenbar-
keit alles Lebendigen. ^

Fritz Züricher

Vom heutigenParagraphen-
Stil

s ist gar kein besonderer Stil,
der Paragraphen-Stil in unsern
jüngsten und jüngeren Staats- und
Reichs-Verordnungen. Aber das ist
es eben! Wir haben hier im Grund
nur immer wieder unser liebes Ak-
tendeutsch, wie es seit Menschenge-
denken war: im ganzen wohl ein-
wandfrei als Werkzeug der Begriffs-
Kennzeichnung, aber garantiert blut-
leer, restlos unpersönlich und un-
anschaulich, daher reizlos überall,

vielfach schwierig zu verstehen und
stellenweise schlechtweg mißverständ-
lich. Ie ernster aber die Zeiten sind,
je wichtiger die wirklich allgemeine
Erkenntnis eines neuen „Du sollst"
erscheint, um so sicherer müßte die
Paragraphen-Sprache zwei Eigen-
schaften haben: unbedingte Rnzwei-
deutigkeit und lebendige Volkstüm-
lichkeit.

Um ganz gerecht zu sein: ja, man
spürt in den Kriegszeit-Verordnuü»
gen nicht selten ein Streben, ein
Stück vom alten Zopf abzuschneiden
und den einfachst-klarsten Ausdruck
zu finden. Man spürt das nament-
lich auch in den neuesten Lebens-
mittel-Verordnungen fürs Reich. Es
wird also da oben am grünenLischdas
eine gar nicht verkannt, daß Gemein-
verständlichkeit not tut: die neuen
Vorschriften sollen ja in jedes tzaus,
in jede Küche dringen, von jedem
deutschen tzirn und Magen verdaut
werden. Aber der Amtsschimmel
kann eben doch nicht aus seiner be-
griffsmäßigen tzaut fahren.

Die Wörter auf „ung^ herrschen
vor: Berücksichtigung, Abweichung,
Anordnung, Wiederlassung, Verord-
nung, Ausführungsbestimmung, Ver-
pflichtung, Äbertragung, Anliefe-
rung, Einrichtung, Gestehungskosten,
Verfolgung, Anhörung, Zusammen-
setzung, Bekanntmachung, Verbin-
dung, Verfügung, Regelung, Preis-
prüfung, Preisstellung, Verwertung,
Verkündung. (All das nahm ich
aus dem neuesten Bundesratsbe-
schluß über die Lebensmittel.) Es
ist die substantivische Bauweise, die
ja gewiß den Vorteil der Raum-Er-
sparnis für sich hat, aber doch nur
durch „abgezogenes" Denken erreicht
wird, durch Entwirklichen der Le-
bensdinge. Es pflegen denn auch
nur Beamte und akademische Men-
schen dafür geschult zu sein, dies
Abstrakte während des Lesens
ins lebendige Deutsch zu über-
tragen.
 
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