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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,2.1916

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Heft 12 (2. Märzheft 1916)
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Ullmann, Hermann: Polen, von einem Polen gesehn: zu Reymonds "Lodz"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14292#0274

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naturhaften Bauernwelt sernes jetzt doppelt lesenswerten Werkes steht.
Der Vorstoß der industrrellen westlichen Zivilisation in den unberührten
und ungeschützten Osten, alle jene gefährliche unorganische Vernrischung
von barbarischer Ursprünglichkeit der Zustände und letztem Raffinement
europäischer Technik: dieser Konflikt, den man im ganzen Osten spürt
und der ein gut Teil Mitschuld an diesem Kriege trägt, soweit er vom
Osten her genährt ward, ist hier mit einer soziologischen Eindringlichkeit
und einem naturalistischen Lifer dargestellt, der weit über Zola sogar
in den äußeren Mitteln und erst recht in der inneren Gestaltungskraft
hinausreicht. tzier sind alle Grundstoffe östlicher Problematik behandelt:
das unorganisch-barbarische, gewaltsame Wachstum kulturlosen Stadtwesens,
in grellerem Kampf mit den Bedürfnissen und Werten des Landes als
irgendwo; der unmittelbare Sprung aus östlich-bäuerlichem tzalbschlum-
mer und einfachen aber natürlichen Lebensformen in formlose Zivilisation,
die alle Kulturentwicklung, alle Sittlichkeit, alle Menschlichkeit vernichtet;
die Wehrlosigkeit der östlichen Menschen, die völlig ungerüstet der tech-
nischen Mechanisierung sich restloser preisgeben und bald fanatischer an
diesem Raubbausystem teilnehmen als irgendein älteres westliches Volk.
Dazu ist in diesem Lebenskreise ja das Verantwortungsbewußtsein aufs
äußerste gelockert durch ein unentwirrbares Gemisch der Rassen, Spra-
chen, Anschauungen. Polen, Iuden, Deutsche rennen um die Wette nach
den Millionen, lernen gegenseitig das jeweilig Schlimmste ihrer beson-
deren Anlagen voneinander, das den meisten Erfolg Bringende, bilden
alle brutalsten Anlagen ihres Wesens in sich und den andern aus. Mit
Bewußtsein und nicht ohne Tendenz scheidet der polnisch-national gesinnte
Dichter. Das Iudentum kommt bei ihm am schlechtesten weg. Mit einer
Schärfe, die zur Karikatur oft nur einen Schritt nötig hat, schildert er
den Ostjuden im Konkurrenzkamps, bei der Brautwahl, im Freundschafts-
und Liebesleben. Dabei stehn ihm Züge zur Verfügung, die nur ge-
naueste, unzweifelhaft aber auch durch tzaß geschärfte Beobachtung ge-
funden haben kann. Gegen den Schluß zu wird Reymont von diesem
tzaß sogar zu romanhaften Zuspitzungen in unkünstlerischem Sinne fort-
gerissen. Immerhin: die Motivierungen, die er auch den tendenziös
erdachten tzandlungen seiner jüdischen Gestalten gibt, zeugen von tieferer
Kenntnis der Ostjudenfrage, die gelegentlichen Lichtblicke in dem an sich
recht düsteren Gemälde des jüdischen Lebens wenigstens von dem Streben,
nicht in der Tendenz aufzugehen. Die Deutschen werden von diesem Polen
nicht allzuviel günstiger behandelt. Entweder sind sie gänzlich unge-
bildete gutmütige Lümmel, von denen nicht ganz klar wird, wie sie in
dieser Welt von Schiebern und Gaunern zu ihren Erfolgen kommen, oder
sie sind brutale Wüstlinge und Tiere von tückischer Arbeitswut, oder aber
sie werden als sentimental-anständige Narren gezeigt, die unter den Schlit-
len kommen. Rur Max Baum, der Freund des tzaupthelden Borowiecki,
zeigt die Züge, die uns als besonders wertvoll am deutschen Wesen er-
scheinen, in deutlicherer Ausprägung: die Treue zur Arbeit, die Arbeit
um ihrer selbst willen. Im übrigen klingt überall, wo Deutsche anf-
treten, ein Unterton an, den der Bankier Großglück im Gespräch mit
Borowieckis nicht ganz uneigennützigem Freund Moritz Welt klar be-
zeichnet. ^Die Deutschen? Mit denen braucht man sich nicht abzugeben,
die holt ja sowieso früher oder später der Teufel/ Man spürt aus diesen
Gestalten des polnischen Verfassers heraus, was er an den Deutschen kennt

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