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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,4.1918

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Heft 19 (1. Juliheft 1918)
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Gurlitt, Cornelius: Der kommende Weltfriede
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https://doi.org/10.11588/diglit.14374#0034

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keine Unterschiede nracht, keinerr Rang kennt, nicht den des Alters, des Ge-
schlechtes, der Bildung, des Verdienstes: bei der größeren Masse liegt für
ihn die Weisheit, nnü nrithin nrnß fnr ihn diese wohl in China liegen, dessen
Stirnme mit seinen 330 Millionen die Frankreichs um das Zehnfachc über-
ragt. Er hofst also, daß die europäischen Bewohner des britischen Reiches sich
dem Wahrspruch der über 500 Millionen asiatischen unterwerfen werden.
Oder denkt er doch an eine ALerlegenheit der Kulturvölker, also an «ine
hieraus fich ergebende, von der Minderhest angeordnete Ungleichheit? Wie
aber, wenn in dem unzweifelhasten Widerstreit der Belange der Völker die
Massen auf Vernichtung der Minderheit und ihrer ihnen fremden und schäd-
lichen Bildung drängen; wenn diese den Krieg wollen?

Die französischen Soldaten, die den Streit darüber, welches Volk die An-
fänger des Krieges machten, für töricht halten, haben sicher recht. Es gibt
kein Volk, das zugegeben habe, der Krieg sei auf seinen Wunsch gekommen.
Äberall gab es Leute, die sein Kommen beschleunigten, indem sie den Nach-
barn beschuldigten, ihn vorzuberesten. Der sogenannte „friedliche Wettstreit
der Nationen" hatte den Haß erzeugt oder alten Haß wieder wachgerufen,
der zu einer Entladung drängte. Es führten dieselben oder doch ähnliche Ver»
hältnisse in monarchischen wie republikanischen, in konstitutionellen wie auto-
kratischen Staaten langsam dazu, daß der Krieg allen, d. h. der über-
ragenden Masse der Völker, unvermeidlich erschien. Ieder erwartete ihn
vom Gegner, jeder richtete sich darauf ein, um ihm entgegentreten zu
können. Äberall redeten viele zum Frieden, aber der Druck der Massen war
es, der vorwärts trieb in den Kampf, ins Verderben. Denn die Massen emp-
fanden den Wettstreit am drückendsten, der sich friedlich nannte, unter ihnen
bedrängte der Fortschritt des einen Volkes das andere am schwersten. Wir
Dentsche haben die Äberzeugung, daß der Krieg kam, weil der Wettstreit
zwischen den Volksmassen so stark geworden war durch unsere Betätigung auf
dem Weltmarkte, daß andere Volksmassen in dieser eine Beeinträchtigung er-
blickten. Zicl des Krieges bei unseren Feinden ist, uns die Verwertung
unserer Arbeit zu erschwcren, die Betätigung unserer wirtschaftlichen Kraft
zu verhindern. Und weil es sich nicht um einen Kabinettskrieg handelt, an
dem Fürsten, Präsidenten oder Minister die Schuld tragen, sondern die Massen,
folgten diese auch in heller Begeisterung dem Rufe zum Kampf. Sie er-
kannten die Pflicht an, für das eigene Wohl Gut und Blut zu opfern. Sie
haben dahcr auch kein Recht, den Führern einen Vorwurf aus dem Kom-
men des Krieges zu machen, denn sie hielten in jedem Lande die Aufnahme
des Krieges für gerecht, den Gegner für den Feind des Rechtes. And die
Massen, sowohl in Frankreich wie in anderen Staaten, erkennen als ihre
Pflicht an, im Kriege auszuharren, im Kriege sich hinzuopfern: so auch Bar-
busse und seine Kameraden. Sie beugen sich dem Massenwillen, bei dem
ebcn nicht die höchste Weisheit und die ausgleichende Gerechtigkeit zu finden
ist nnd nie zu finden sein wird. Denn es ist ja das Wesen der Massen,
einem Eindruck sich hinzugeben und sich selbst in der Leidenschaftlichkeit bis
zur Gewalttat zu steigern. Sie sind es, die die Revolutionen, d. h. die gc-
waltsamen Ämgestaltungen des öffentlichen Lebens durch einen Krieg im Innern
eines Staates durchführen, durch diese den Massenwillen an Stelle der wohl-
gcordneten Staatsverwaltung durch Führer rücken. Die Franzosen aber leben
in einer Republik, die nach ihrer eigenen Ansicht Ausdruck des Volkswillens
ist, in der die vom Volke Gewählten die höchste Macht haben, in der „Freiheit,
Gleichheit und Brüderlichkeit" der Staatsgrundsatz — oder doch das Aushänge-
schild des Staates ist. Barbusse läßt erkennen, daß ein starker Zwiespalt zwischen
Volk und Regierenden in Frankreich bestehe. Tatsächlich liegt aber doch die
Macht in der Hand der von den Massen bestellten Abgeordneten, erklären diese,
dcn Volkswillen zu vertreten. Barbusse stellt also nur fest, daß in der Nepublik
der Einzelne ebcnso machtlos ist, wie bei anderen Staatsverfassungen, und es
ist daher kein Wnnder, daß er und seine Kameraden von der Freiheit und
 
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