Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,4.1918

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1918)
DOI Artikel:
Spranger, Eduard: Das Problem des Aufstieges, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14374#0110

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
grenzung ist, muß beseitigt werden. Auch die Prüfungen selbst müssen mehr
auf den ganzen Menschen als auf die einzelne Leistung gerichtet sein. Sie
werden daher den Eharakter kurzfristiger Verhöre und schneller Stichpraben
immer mehr verlieren müssen und auf die Grundlage langer Beobachtungen
während der Arbeitsleistung selbst gestellt werden.

Ist dies alles geschehen, so bleibt noch ein letztes, das wie das erste wieder
ein Angreifbares und Geistiges ist: die soziale Wertschätzung muß
sich immer stärker dem wirklichen Verdienst und der persönlichen Leistung zu-
wenden. Geburt und Besitz begründen keine Adelsbriefe. Auch die Stellung
als solche gibt keinen Anspruch auf Auszeichnung; nur durch die Art ihrer
Ansfüllung wird sie erworben. Die sozialen Werturteile unterliegen einem
eigentümlichen Trägheitsgesetz: es ist sehr schwer, zumal in einer großen Volks-
gemeinschaft, zur Anerkennung zu gelangen; es ist aber auch sehr schwer, ein-
mal erworbene Anerkennnng zn verlieren. Ist jemand einmal bekannt ge-
worden — sei er Künstler oder Gelehrter —, so kann er beinahe das Miinder-
wertigste zutage fördern, ohne den Beifall der weiten Kreise zu verlieren.
Das gilt vom einzelnen, aber auch von ganzen Klassen. Hat ein Stand in
einer Epoche für das Ganze etwas geleistet, so ist ihm für lange Zeiten cin
Bett von Lorbe^rn bereitet. Der Geburtsadel zehrt noch heute von seiner Be-
deutung in der absoluten Monarchie; die Aniversitätsprofessoren genießen noch
heute das politische Vertrauen der Nation, das sie in der Zeit der Einheits-
bewegnng erworben habcn. Auch hier aber heißt es: erwirb es, um es zu
besitzenl Nene Stände konunen empor, denen die Beachtung des ganzen
Volkes gebührt. Und doch stellt sich das allgemeine Urteil schwer nach diesen
neuen Seiten um. Der Anteil der Technik und der Oberschicht unsrer Arbeiter
an den Leistungen der Nation verlangt, daß man ihncn eine andere Stelle in
der gesellschaftlichen Schätzung zuweise. And diese höhere Gerechtigkeit müßte
sich auch darauf ausdehnen, daß man den einzelnen, der sich durch eigne
Leistung zu einem tüchtigen, erfreulichen Menschen gemacht hat, mehr um
seiner selbst willen schätzt, als um seines Vermögens, seines Titels oder seiner
Uniform willen. Erst dann wird man sich auch gewöhnen, Stipendien nnd
Beihilfen zur Ausbildung nicht mehr als ein Almosen anzusehen, sondern als eine
verdiente Auszeichnung, die die gebende Gemeinschaft sich selber schuldig war. —

An diesen fünf Stellen sind die Hebel anzusetzen, nnr dem rechten Verdienst
emporzuhelfen. Damit wird allmählich auch eine Schranke fallen, die die
Auffassung des Aufstieges bis heute beherrscht. Früher hatte der Aufstieg
eine ziemlich einfache und eindeutige Richtung: die wichtigsten Leistnngen
schienen bei den akademischen Bernfen und beim Militär zn liegen. Der
Geistliche, der Iurist, der Offizier warcn die Hauptträger des sozialen An-
sehens; nur allmählich sind Mediziner und Lehrer daneben getreten. Die
Geschichte ist, ähnlich wie die Erdoberfläche, eine Schichtnng, aus der
man die Epochen ihres Werdens lesen kann. Noch immer stehen wir unter
dem nachwirkenden Linfluß der Anschauungen des sechzehnten Iahrhnnderts,
dem es anf die reine Lehre und das rechte Gotteswort vor allem andern ankam,
nnd unter dem Linfluß des absoluten Staates, der das Beamtentum nnd
die Armee als Grmrdpfeiler seiner Existenz hinzufügte. Deshalb gab es
bis vor kurzem nur diese Wege zur sozialen Achtung, d. h. also, abgesehen
von der Offizierslaufbahn, den Weg durch die Aniversität und womöglich
die Erwerbung des Doktortitels. Schon dic Technischen Hochschulen haben
schwer nm ihre Anerkennnng ringen müssen.

Man sollte sich aber klar werden, daß es heute eine viel weitergehende
Verzweigung des Aufstieges gibt. And man sollte sich klar werden,
daß es eine engherzige Auffassung ist, jedes Talent gerade den einen gelehrten
Weg führen zu wollen. In jeder Klasse gibt es ein Empor, wie denn jede
Klasse an ihrer Stclle für das Ganze unentbehrlich ist. Selbst wenn der
Spielraum jeder größeren Begabung so weit wäre, daß sie ohne Schaden für
ihre Eigenart dnrch die vorwiegend theoretische Bildung der höheren Schulen

8-s
 
Annotationen