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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,4.1918

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1918)
DOI Artikel:
Hoffmann, Paul Theodor: Humanität als Begriff und Gefühl, 4: Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.14374#0114

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töllsotus, gegebenenfalls das Opfer von Gewissen nnd Moral . . . Wir müssen
den Gedanken, daß die Lugend aus Pflicht die Neigung braucht und daß
diese Neigung nur durch Fortschritt im Schönheitsglauben (Schillers und
seiner Nachfolger)-zu erreichen ist, sieghaft ausbauen." *

Shstematischer legt Wiese die Möglichkeit dar, wie sich eine nrenschlichere
und menschlich fruchtbarere Lebenshaltung und Daseinsgestaltung erreichen lasse.
Wie Humboldt betont er das Recht und die Notwendigkeiten des Individuums.
Der Staat gerade verlangt starke Individualitäten, die das Rechte für das Staats-
wohl erkennen und das Erkannte durchzuführen vermögen. Wie Goethe knüpft
er an den Realismus und an die durch die Natur gegebenen Notwendigkeiten
an. Der Geist,** der das Triebleben vergewaltigt, der die Natur grundsätzlich
mißachtet, wird früher oder später in unlösliche Konflikte mit sich selbst ünd
der Erde geraten, die sich für ihre Bciseitesetzung rächt. (Als einen solchen
Konflikt betrachtet Gleichen-Rußwurm den Weltkrieg.) Wiese geht daher von
der Gegebenheit der deutschen Kultur aus, wie sie sich mit den Zeiten Hegels
und der Reichsgründung bedeutend zu einem „wachsenden, sich dehnenden und
lebenstrotzenden Deutschland" entwickelt, und nimmt diese Gegebenheiten als die
Hauptfaktoren in seine Ansführungen auf. Nur so ist auch der Menschlichkeits-
gedanke auf Weltpolitischer, weltwirtschaftlicher, innerpolitischer, volkswirtschaft-
licher, geistiger und religiöser Grundlage zu fassen und gedeihlich fortzuführen.
Goethisch-human ist Wieses Verbindungslehre von Pflicht und Glück. Unter
Glück versteht er nicht jenes gemeinmachende Genießen, sondern das „Gefühl
irdischer Sicherheit", das Menschen zum Menschen menschlich ordnet, das im
richtigen Gleichklang zwischen Geist und Körper zu jenem bereichernden Ge-
nießen führt, das innerlich vertieft und uns wachsen läßt: „du darfst der Erde
gehören, darfst dir selber trauen, kannst verlangen, genießen, dich vervoll-
kommnen, dich bereichern." Es soll nicht nur die Pflicht regieren, sondern
auch das Glück. Denen, die meinen, daß das Leben, zumal bei unserer po-
litischen Lage, cben ausschließlich das Pflichtprinzip als Leitgedanken un-
seres Daseins verlange, entgegnet Wiese: Daß unser „Daseiir im Grnnde hart
und rauh ist, . . . daß es so geworden, ist in starkem Maße erst das Ergebnis
des Pflichtstrcbens. Denn das ist sein Fluch, daß es die freundlicheren Kräfte
der Seele crsetzt durch die Leidenschaften der Hcrrschsucht . . . Dort, wo nur
die Pflicht herrscht, erscheint das Leben nicht nur rauh, nuancenlos und anmuts-
bar, sondern die Beziehungen unter den Menschen sind mehr auf Aber- und
Unterordnung, auf Befehlen und Gehorchen, auf Herrentum und Knechtschaft
gestellt als airderswo." Was also zu fordern sei, ist nicht Pflichtlosigkeit, son-
dern neben der Wachhaltung der durchaus cdlen und notwendigen Gabe des
Pflichtgefühls die Heranziehung der guten Geister der Menschlichkeit, die hier
unterdrückt waren, Veredelung und Ausgestaltung unseres Innenlebens, Milde,
Freudigkeit, Schönheit und Unbefangenheit. Gerade die Unbefangeuheit, welche
die freigcbotene selbstsichere Leistung erst ermöglicht, ist eine der besten Quellen
unseres Glückgefühls. Das Leisten im Verein mit andern und für die andern
wird die Pflicht zu etwas Natürlichem (was sie an sich sein kann) machen und
ihr die rechte, befruchtende Bahn in unserem Lebensgetricbe anweisen.

Zu dieser Humanitätsforderung gehört endlich noch ein Drittes: der Opti-
mismus. Nicht im Sinne einer unklaren, alles im rosigen Lichte auffassenden
Weltanschauung; es tut nns vielmehr not, was Herder, der erste große deutschc
Humanitätsprediger, im vorbildlichen Maße bekundete: der Glaube an das

* Dabei richten sich Gleichen-Rußwurm und die gleich ihm den Pflicht-
idealismus abwehren, ausdrücklich nicht so sehr gegen seine Begründer, wie
Kant, als gegen die Auswüchse, die diese Richtung gezeitigt hat.

** Fichte lchrt: „Das bunte und verworrene Gemisch der sinnlichen und
geistigen Antriebe durcheinander soll überhaupt der Wissenschaft entsetzt werden,
und der Geist allcin, rein und ausgesogen von allen sinnlichen Antrieben, soll
an das Ruder der menschlichen Angelegenheiten treten."

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