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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,4.1918

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1918)
DOI Artikel:
Cauer, Paul: Willenserziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14374#0122

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Seite. Offener zntage tritt hente die grandlegende Bedeutnng des einzelnen
für die Gesarntheit, zu deren Wohl er, ob auch mit bescheidenster Leistung,
einen wägbaren Beitrag liefert. Wer bei einer unserer Kriegsanleihen das
Gesamtergebnis der kleinen Zeichnungen mit der Summe aller großen ver-
gleicht, müßte eigentlich für immer von dem Irrtum befreit sein, zu sagen:
„Was kommt denn auf mich an?" Vielmehr sieht er: um die Gesamtheit
würde es gut stehen, wenn jeder einzelne an seinem Platze jederzeit so denken
und handeln wollte, als käme es gerade auf ihn ganz allein an. Eben dies
aber ist der Inbegriff, wo nicht aller Sittlichkeit überhaupt, doch aller der
Pflichten, die uns an die großen Gemeinschaften binden. Diese Linsicht ist vielen
wohl jetzt erst aufgegangen: wo sie fehlt, ist doch mehr als früher die Möglich-
keit gegeben, sie hervorzurufen.

Besonders deutlich zeigt sich das Grundverhältnis bei der Forderung, die
heut als dringendste ausnahmslos an alle gestellt ist: willig entbehren zu
können. Wenn wir nnn gerade in den Kreisen derer, die zu Borbildern be-
rufen waren, statt dessen das Bestreben finden, eine günstige Position im
eignen Interesse auszunutzen, sei es um Gewinn zu machen oder doch um eine
bevorzugte Lxistenz ungestört zu erhalten, so ist die Frage, ob mehr am
Willen oder mehr am Verstande die Schuld liege, diesmal wirklich nicht schwer.
Mir wenigstens sind, wo immer ich mit Vertretern dieser Gesinnung zu tun
hatte, die Merkmale geistiger Beschränktheit unverkennbar, oft erschreckend ent-
gegengetreten. Dummheit kann überall zum Laster werden; selten aber wird
der Ursprung des moralischen Defektes aus einem intellektuellen so deutlich
wie hier, wo die Erwägung, mit der er überwunden werden müßte, ihrem
Inhalte nach nichts andres ist, als eine Rechnnng aus gegebenen Faktoren.
Ilm so mehr ist es geboten, solches typische Verhältnis zu benutzen, nm von
hier aus die Grundbeziehungen allgemein, auch wo sie versteckter liegen, ins
Helle zu bringen.

Damit ist denn freilich das letzte noch nicht geleistet. Hinzukommen muß
für jeden einzelnen Fall ein Entschluß, der das Resultat annimmt nnd durch-
führt, und der ist ein Akt des Willens. Da der Wille aber nicht allein da-
steht, sondern mit dem Verstande zu einer — denkenden und wollenden —
Person verschmolzen ist, so wird es ihm um so schwerer werden, das Rechte
nicht zu ergreifen, je mehr er genötigt ist, mit Bewußtsein zu wählen. Diese
vorbereitende Arbeit ist Sache des Verstandes. Eine Sicherheit, daß der
Lntschluß nicht doch zuletzt abgleitet, würde da gegeben sein, wo die
Abereinstimmung zwischen Tun und Denken, die Einordnung des indi-
viduellen Daseins in ein höheres, das Aufgehen der eignen Interessen in die
der Gemeinschaft unmittelbar als stärkste Lust empfunden wird, gegen die jeder
persönliche Vorteil oder Genuß verschwindet. Das ist eine Gesinnung, die
durch Lehre nicht verbreitet werden kann, wohl aber durch Beispiel; denn es
gibt Menschen, denen sie von Natur ebenso selbstverständlich ist wie der Menge
das Gegenteil.

Mehr als bisher wird künftig Willensbildung eine erkannte Pflicht sein.
Daß die Aberzeugungen und Ideale der Menschen nach ihren Interessen sich
richten, dürfen wir nicht als berechtigten Zustand gelten lassen. Ihn umzu-
wandeln kann aber nicht in dem Augenblick erst unternommen werden, wo
die zersetzenden Wirkungen hervortreten; dazu ist es — das erleben wir
heute — zu spät. Iedem Heranwachsenden wünschen wir, daß es unter den
Männern und Frauen, die zu seiner Erziehung mitwirken, weder an Führeru
zu verständnisvoller Betrachtung sittlicher Aufgaben fehlen möge, noch an
Persönlichkeiten, die zu edlem Wollen und Handeln mit fortreißen. Der voll-
kommene Lehrer, der das eine wie das andere im höchsten Sinne vermöchte,
wird selten erscheinen. Anteil aber an beidein soll jeder haben, der durchs
Leben geht. Gerade diese Verbindung ist das Ziel aller Erziehung, auch —
und vollends — der schwersten und wichtigsten, die den äußerlich Fertigen
übernimmt und weiter begleitet: der Selbsterziehung. Paul Cauer


 
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