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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 12.1894

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Beck, Paul A.: Schwäbische Biographieen: der Dominikaner Johannes Nider (ca. 1380 bis 1438) aus Isni
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https://doi.org/10.11588/diglit.15916#0067

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selbe», »m keine» Zweifel an seiner wahren Gesinnung anf-
konnnen zu lassen, sogar die Pforte seines Konventes, in
welchem dasselbe bis dahin während der nicht feierlichen
'Sitzungen getagt hatte, verschließe». Unter solchen Umständen
war seines Bleibens in Basel auch nicht mehr und begab er
sich im Laufe des Jahres 1435 oder anfangs 1436 gern aus
Wunsch seiner Oberen »ach Wien, um daselbst wieder den
Lehrstuhl der Gottesgelahrtheit an der Hochschule einznnehmen.
Auch diesmal sollte seine Lehrtätigkeit nicht von langer Dauer
sein, indem ihn schon wenige Jahre darauf auf der Durch-
reise von oder nach Colmar, der Stätte seines Noviziates, zu
Nürnberg der Tod ereilte, woselbst er vor dem Hochaltäre
der Dvminikanerkirche an der Seile seines ehemaligen berühmten
Generalmagisters Raimund v. Capna beigesetzt wurde. So
schloß er also seine öffentliche Thätigkeit als (mittlerweile
znm Faknltätsdekan vorgerückter) Lehrer der göttlichen Wissen-
schaften — leider zu früh — an demselben Orte ab, an
welchem er sie begonnen. — Gewiß war der von seinen Zeit-
genossen und auch nach seinem Hingange noch bis inS 17. Jahr-
bnndert so hochgehaltene N., welcher aber seitdem fast ganz
unverdienter Vergessenheit anheimgefallen, einer der bedeutendsten
Männer seines Zeitalters, welcher nicht nur eine anssebließlich
theologische, sondern für seine Zeit eine wahrhaft universelle
Bildung besaß. Bei der Vielseitigkeit seines Wirkens hält eS
schwer zu sagen, ans welchem Gebiete ihm der Vorzug gebühet.
Die einen rühmen ihn für seine Zeit als Leuchte der Wissen-
schaft, als großen Gelehrten, tüchtigen sunchtbaren Schrift-
steller; die anderen preisen ihn als gewandten diplomatischen
Unterhändler, als Staatsmann, wieder andere als Ordens-
rcfvrmer; viele feiern ihn als ausgezeichneten Prediger, Seel-
sorger und Gewissensrat; in der Anerkennung seiner hohen
Tugenden als Mensch, Priester und Ordensmann gehe» alle
einig. Im großen Ganzen wird man nicht fehlgehcn, wenn
inan seine praktische Thätigkeit als Seelsorger, vor allem als
Kanzelredner über seine (in der Hauptsache längst überholten)
wissenschaftlichen Leistungen als Theologe stellt und ihn zu
den Theologen zweiten Ranges rechnet; und für die Nachwelt
hat er am meisten durch sein Hervortreten ans dem Basler
Konzil, vornehmlich durch seine böhmische Mission Bedeutung
erbalte». Seine sehr in die Zeit eingreifende Wirksamkeit
fällt fast ganz außerhalb seiner Heimat, bezw. des Schwaben-
landis. Lange lebte er in seinen zahlreichen Schriften und
Werke» fort, von welchen die meisten — aber nicht alle —
mit Hilfe der bald »ach seinein Tode anfgekommenen Bnch-
drnckerknnst eine Verbreitung fanden, wie sie. nicht leicht einem
Schriftsteller seiner Zeit zu teil geworden ist. Dieselben,
teils rein theologischen, teils moralischen, ascctischen, teils
vermischten Inhalts, sind mit Ausnahme von zwei in der
Muttersprache geschriebenen in dem damaligen harten Latein
abgefaßt. Unter denselben nimmt weitaus de» ersten Rang
sein „Uoimicnrius" (Nmeisenbnch) ei», ein in der Form des
Dialogs zwischen einem Theologen (welcher N. sein soll) und
dem Piger (dem Faulen) gehaltenes, dem /Ipiarius seines
Ordensbruders Thomas Brabantinns, vielleicht auch den
,,iibri XII clin1o§orum Ue mirnculis, visioriibus et exem-
plis seine netntis" des Cäsarinö v. Heisterbach oder dem
„bonuni einiversnle 6e apübus" des Dominikanermönches
Thomas von Chantinipre nachgcbildeteS Buch, welches viel
Zeitgeschichtliches und zugleich mit seine» vielen, auch aus
früheren Jahrhunderten eingeflochtenen Geschichten, Revela-
tionen, Kuriositäten, Anekdoten re. der Nachwelt ein treues
interessantes Sittenbild von der damaligen und znm Teil
auch von der voransgegangenc» Zeit giebt. Seinen bezeich-

nende» Namen führt es davon, weil die darin enthaltenen
Abhandlungen, Lehren und Erzählungen zunächst an daS
Wesen und die Emsigkeit der Ameise angeknüpft und dieselben
dann ans die moralischen Eigenschaften »nd Tätigkeiten der
Menschen angewandt werden. Die Dialogfignr des Piger ist
dem bekannten Spruch Salomous (Sprüchw. 6) entnommen,
wo es heißt: „Gehe hin zur Ameise, du Fauler, und betrachte
ihre Wege und lerne Weisheit ec.!" Unter den sechs be-
kannten Ausgaben des Uormicarius sind die beiden ersten
Jnknnabeln, wovon die eine bei A»t. Sorg i» Augsburg
(ohne Jahr) gedruckt wurde. Die dritte (zu Straßbnrg in,
Jahre 1517 bei Jvh. Scotus in 4" heransgekommene) Aus-
gabe wurde von dem bekannten Humanisten Jak. Wimpheling,
eine weitere mit wertvollen Noten im Jahre 1602 von dem
Theologieprvfessor Georg Colvenerins zu Dvuah und die letzte,
mit einer sehr schätzbaren Einleitung versehene, vom Jahre 1692
durch den Helmstädter Professor Hermann v. d. Hardt besorgt.
Man muß sich billig wunder», daß ein so merkwürdiges Buch,
eine der interessantesten litterarischcn Erscheinungen des Mittel-
alters, welche auch lange Zeit von den Protestanten sehr wert ge-
halten wnrde, so ganz in Vergessenheit verfallen und nicht
längst »cn aufgelegt worden ist. Seine eigentlichen theo-
logischen und philosophischen Kenntnisse hat 31. in dem —
bis jetzt, wie noch einige andere Nidersche Handschriften,
nicht wieder anfgefnndenen und wohl irgendwo in einer Bib-
liothek vergraben liegenden — Kommentare zu de» vier Büchern
der Sentenzc», einem von seinen Zeitgenossen hochgestellte»
Hauptwerke, sowie in dem (wohl über zwanzigmal aufgelegten)
.Praecepkorium ciivinne le^is oder Abhandlung über die
zehn Gebote" niedergclegt. In letzterer, mehr moralisch ge-
haltener und deutsch verfaßter Schrift kommt 31. auch wieder
auf das Hexen- und Zanberthema in mehreren Kapiteln (9—11)
des ersten Gebotes zu sprechen, welche z. B. von den Arte»
des Aberglaubens »nd der Schwere dieser Sünde, über die
falsche Translation der Menschen, Träume, Lose rc., die Ver-
wandlung von Menschen in Tiere, speziell i» Wölfe durch
Dämonen ec. handeln. Der in diesem traurigen Kapitel der
Geschichte der Menschheit von 31. als Kind seiner Zeit ein-
genommene primitive Standpunkt mit großenteils noch ganz
schauerlichen Vorstellungen bildet eine Schattenseite in seinem
Gelehrtenleben und ist nicht geeignet, seinen wissenschaftlichen
Ruf zn heben und hat sogar da und dort zu der — übrigens
i» nichts bestätigten — Meinung Veranlassung gegeben, 31.
habe auch das Amt eines Inquisitors bekleidet. — Ascetische»
Inhalts sind die ebenfalls deutsch geschriebenen „24 goldenen
Harfen", eine ganz freie Bearbeitung der Kollationen Cassianö
und mit dem prneceptorium ein interessantes Sprachdenkmal;
sodann ei» i» der Art des „speculum cutis bene inoriencli"
oder der „^.rs inoriencli" gehaltenes Uispositoriunr bene
inoriencli, von welchem eine Ausgabe von 28 Blättern in 4°
den Charakteren der Typen nach um das Jahr 1466 durch
Ulrich Zell in Köln gedruckt ist. Ebenso soll die einige Zeit
keinem geringeren wie dem heilige» Bernhard, aber nicht mit
Grund zngcschriebene Schrift „Oe modo bene vivencli" von
N. herrühren. Von den vielen weiteren Geisteserzengnisse»
Niders wäre das seine Spezialität behandelnde Ordenöwerk
„Oe retorrnntione reliAiosoruin" und noch eine äußerst
merkwürdige (u. a. auch ans der Konr. Fynerschen Offizin
zn Eßlingen a. 31. im Jahre 1474 hervorgegangcne) Schrift
„IrnctLtus cle continctibus lnercntorunr" hervorznheben,
ein — schon bei Thomas v. Aqnin sich findende Ideen prak-
tisch verwertender — Exkurs ans dein siebente» Gebote über
eine auch durch Gerson »nd nach ihm durch andere wie Langen-
 
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