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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 13.1895

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Beck, Paul A.: Vor hundert Jahren - die Franzosen in Oberschwaben bezw. in St. Christina, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15914#0104

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überbrachte von da muh ellichen Stunden münd-
lich folgende Ordre cm mich, ich sollte bis ans
tvciteres ini Pfarrhofe zit St. Jos verbleibcti
u»d daselbst Here Pfarrer de» Auftrag haben,
sowohl mich als meine Dienstboten so gut als
ihm möglich verpflegen, welches auch in der
Folge nach Kräften geschehen. Zu Weissenan,
nglen die ferneren Berichte, sei bis setzt nicht
geplündert worden, der gnädige Herr habe sich
ins Konvent retiriert, die französische Generali-
tät habe das Hanptgnartier im „Rahlen" ge-
nommen und man hoffe auch in Zukunft größere
Gewaltthätigkeiten abznhalten, indem bereits auf
das bittliche Ansuchen, welches unser damaliger
Herr Konsulent Milz in, Namen dcS gnädigen
Herrn gestellt, bereits eine ans ellich und 30
Mann zu formierende salva guarclia genehmigt
worden; übrigens sei die Verpflegung sowohl
der hohen Generalität, als der Genieinen sehr
köstlich und alles da- und dorthin fast zu jeder
Stunde abverlangte kaum mehr anfznbringen.
Mit dieser Nachricht nn» ward mein düsteres
Gemüt wenigstens in etwas anfgcbeitert, aber
der zu sehr abgeschwächte Körper sehr wenig
erleichtert. Immer fast jede Minute ward ich,
meist ganz unwillkürlich, von gichtartigen Zuck-
ungen am ganzen Leib erschüttert, wohl auch
zuweilen von meinem Sitze in die Höhe ge-
worfen. Beständig und noch allzu lebhaft klebten
die Ideen meiner Gedanken an dem Orte und
allen dessen Teilen, vorzüglich an der so uner-
hört mißhandelten Kirche, die ich vor etlichen
Stunden so elendiglich verlassen mußte. Un-
mittelbar nach meinem traurigen Abzüge von
St. Christine, ging es erst recht janncrisch über
sämtliche sowohl innere als äußere Gebäulich-
keiten des Pfarrhofcs her; verschiedene Bvden-
brctter im Saal, Kammer, Stall, Tennen re,
wurden aufgehoben, die Rückwände der Sessel
anfgerizt, Speitrncheln, Aschenhanfen :e. ansge-
stiirt, alle Oefcn anfS genaueste durchsucht, das
etwas entferntere Gartenhaus oben und unten
anSgeränmt, selbst die dicht angcfülltc s. v.
Hanskloake bis ans den Grund ansgeschöpft, wo
aber der Patrioten Spürhnndsnasen manche gute
Prise, ihre Nanbklanen aber nichts erschnappt.
Sogar die Gartenbeete wurden umwühlt und
sämtliche Blnmenscherben zerschmettert, in der
Hoffnung, in selben verstecktes Geld zu finden.
Wie spitzfindig, aber auch am Cnde wie stets
angcpnmpt waren doch die Nensranken, jetzt
ganz regierende Herrn ans dem so sehr und
hart mitgenommenen,St. Christiner-Berge! Der
bisher noch unbeschädigt gebliebene Brunnen
mußte jetzt auch noch herhalten, zuerst ganz ans-
gcgolket und da man nichts darin fand, zn-
sammengcrissen, kurz: Alles zerstörbare zerstört
worden. Kann dies wohl auch die Geschichte wirk-
licher Menschen sein? Sämtlicher im Schöpse
ans künstigen Winter um sehr großes Geld er-
kaufter, meist buchener Holzvvrrat, alles Vorge-
fundene zu 5—600 Bund geschätzte Stroh und
zuletzt noch etliche 100 nnansgedroschene Kvrn-
nnd Habcrgarbcn wurden weg- und den nächst-
gelagerten Abteilungen der hunnischen Zerstörer
zum Verbrennen zugeschleppt! Einige von jenen,

die mir in der Nacht meine Ordenskleider ge-
raubt, kamen um die Mittagszeit ans Fidazhofen,
warfen sich die gestohlenen Rvrbertincrgcwande
über ihre schmutzigen Kostüme und präsenlicrlen
solcher Gestalt den seltensten Anblick, indem sie
so vermummt eine Art Prozession hielten. Einer
der Spitzbuben brachte den Svmmcrteil meines
größeren Brcvieres in das HanS deS daselbstigcn
Landvogtcischen Ammanns Joh. Gg, Rnndel,
durch dessen Verwendung ich selbes nach ein
paar Wochen wiederum znrückerhielt. Während
den, nun alle diese und zerschiedcne andere
Greuel in der lieben Nachbarschaft von den be-
lobten Nengallicr» ansgeübt wurden, kamen, dann!
ich den Faden meiner llebcrrnmplnngsgeschichte
bald znm Ende bringe, die gestern in Geschäften
vom Pfarrhvf abwesend gewesene zwei Hans-
mägde Satnrnina Hailig(in) und Magdalena
Frick(in), welche gestrigen Abend durch die
siegenden Franzose» rechts und links zersprengt
worden, wieder in den rein anSgeplündcrten
Pfarrhvf, nahmen daselbst ihren nicht erwarteten
totalen Verlust aller ihrer Hnbseligkciten in selbst-
eigenen Augenschein, gerieten darüber (beide
waren vater- und mntlcrlofe Waise») in eine
Art verzweifelter Raserei, stürzten zun, Hanse
hinaus und klagten mit nach dem Himmel
ansgestreckten Händen dein lieben Gott ihren
bitteren Verlust und gänzliche Verlassenheit, da
sie nicht einmal mehr ihren bisherigen Hans-
nnd Brolvatcr mehr nngctrvffen hatten. Im
Augenblick trollte» sich etliche der besoffenen
Patrioten zu den armen Tröpfinncn unter
offenem Himmel hi», zunächst an die Kirchhof-
mancr, suchten selbe zu Boden bringen und
scheuten sich nicht ans die schamloseste Art sie
noch znm Opfer ihrer viehischen Leidenschaft zu
machen. Daß beide und vorzüglich die eine der-
selben den Sanhnndcn mehr als weiblichen
Widerstand entgegengesetzt, bewiesen sattsam die
ans ihren Gesichtern cingeschrappten und cinge-
kraztcn Merkmale der WolfSzähnc und Tcnsels-
klanen und bleibt auch schon in diesem Anbetracht
so ziemlich demonstriert, daß die Herrn Nen-
franken bei ihrer gloriosen Netirade 1796 in
Schwaben nichts offenbarer gewesen seien, als
wirklich ehr- und schamlose gallische Gvckelhähne!
So mißhandelt und znm Teil wnndgebissen und
zerkrazt kamen nun obige zwei meine Dicnst-
mägde nahe um 11 Uhr vormittags zu mir
nach St, JoS, suchten weinend und jammernd
Hilfe, Obdach und Nahrung bei mir, der ich all'
dies selbst als Wvhllhat in den Räumen meines
Ordensbruders genoß. Doch auch ihnen ward,
so viel eS die Umstande gestalteten, am näm-
lichen Zufluchtsorte anSgeholfen und alles »ölige
angeschafft. Mit schlechterem Appetite hatte ich
in meinem Leben nie über Mittag gespeist, als
heute. Und — nnn rückte allmählig die von
mir so sehr gefürchtete Nacht heran, mit deren
Annäherung aber auch zugleich meine Bangig-
keit und Furcht sichtlich znnahm, umsomehr, als
immer von Stnnde zu Stunde neue anlhcntischc
Nachrichten von mehrstiltigen in der Stadt selbst
ansgcübten, znm Teil sehr beträchtlichen Plün-
derungen eingelnufcn waren. (Fortsetzung folgt.)

Stuttgart, Buchdruckcrci der Akt.-Ecs. „Dcatschcs Botkslilntt",
 
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