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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 6.1900

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Heft 7 (April)
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Die Deutsche Kunst im Kampfe gegen die "Lex Heinze"
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https://doi.org/10.11588/diglit.6696#0065

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349

DIE DEUTSCHE KUNST IM KAMPFE GEGEN DIE „LEX HEINZE".

Die »lex Heinze« hat mit einem Male in
der deutschen Kunstwelt, ja bei allen
Gebildeten einen Entrüstungs-Sturm entfacht.
Wenn die deutschen Künstler und »Intelek-
tueilen« bisher dieser Sache mit grossem
Gleichmuthe gegenüberstanden, so hat dies
seinen Grund darin, dass kein Mensch glaubte,
dass es ernst werden würde mit diesem
ungeheuerlichen »Gesetze«, das die Mög-
lichkeit bietet, die edelsten Werke mensch-
lichen Schöpfergeistes mit dem Auswurfe
der Menschheit, mit Zuhältern und Strassen-
Dirnen in eine »Rubrik« zu bringen. Man
nahm wohl ziemlich allgemein an, dass die
Regierung dieser albernen Angelegenheit
nur näher getreten sei, um den Herrn vom
grossmächtigen Zentrum und von der äusser-
sten »Rechten« Gelegenheit zu geben, wieder
einmal ihr Steckenpferd zu tummeln; das
bereitet solchen Herren sehr viel Freude,
kostet nichts und erhält bei Humor: Be-
willigungs-Humor für Flotten etc. So dachte
man. Allein es kam anders: die Regierung
soll im Stillen mit jenen dunklen Gewalten
Kompromisse gemacht haben, die wenigstens
einen Theil dieses »edlen Gesetzes« retten:
Also es wird doch »ernst«, und die Re-
gierung des Deutschen Reiches schickt sich
an unter dem frenetischen Hohngelächter
der ganzen zivilisirten Welt die »lex Heinze«
zu Sanktioniren! Die Blamage bleibt für
alle Fälle auf unserem Volke sitzen: die
»lex Heinze« ist von der Regierung ernst
genommen worden ! Aber dem Schlimmsten
lässt sich vielleicht doch noch vorbeugen.
Aller Augen richten sich auf unseren Kaiser,
der mit so aufrichtiger Begeisterung der
Kunst zugethan ist! Wird der Kaiser seinen
Künstlern das anthun lassen?

In Berlin fand bereits unter ungeheurem
Andränge eine Protest - Versammlung statt,
in welcher eine Reihe unserer bedeutendsten
Künstler, Schriftsteller und Parlamentarier
die Gefahr entrollten. Wir nennen Professor
Eberlein, Hermann Sudermann, Hof-Schau-
spieler Nissen etc. Auch von Gerhart Haupt-
mann traf ein Zustimmungs-Telegramm ein,
das mit stürmischem Beifalle aufgenommen
wurde. An dieser Bewegung nehmen natür-

lich nicht nur die schrecklichen »Modernen«
theil, sondern alle, die für Kunst Verständniss
haben, alle Deutschen von Kultur. Auch die
Künstler-Excellenzen von Menzel und Anton
von Werner, ferner Ernst von Wildenbruch,
Knaus, Reinhold Begas u. a. namhafte
Künstler, welche sich der besonderen Werth-
schätzung des Monarchen erfreuen, machen
aus ihrer ablehnenden Haltung, ja Entrüstung,
keinen Hehl. In München sind von den offi-
ziellen Vertretungen der Kunst sowie von
Vereinen grosse Kundgebungen geschehen.
Auch anderwärts rüstet man sich, überall
ist plötzlich die Entrüstung aufgeloht und
die Regierung kann sich versichert halten:
die Männer, welche alles Recht haben, sich
als die geistigen Führer ihres Volkes anzu-
sehen, werden nicht eher ruhen, als bis diese
erbärmliche »Vorlage« von der Bildfläche
verschwunden ist. Aber dass sie überhaupt
möglich war, dass in Deutschland die Un-
kultur noch so ungeheuer ist, dass die
deutsche Reichs - Regierung auch nur eine
Sekunde an »Kompromisse« in solcher
Sache denken konnte: das bleibt und ge-
reicht uns vor dem zivilisirten Auslande auf
lang hinaus zu Spott und Hohn!

Wie die Sache in den Kreisen der
deutschen Kulturellen allgemein aufgefasst
wird, das lässt sich aus nachstehenden Aus-
führungen der »Münchener Neuest. Nachr.«
entnehmen, welche den Nagel wohl auf den
Kof treffen: »Damit wäre der erbärmlichste
Kautschuk-Paragraph, der je ein Gesetzbuch
verunstaltete, in unser deutsches Strafgesetz-
buch aufgenommen. Haben die bildenden
Künstler Deutschlands wirklich keine Ahnung
davon, was hier zur Knebelung freien Kunst-
schaffens gethan wird? Es ist allerhöchste
Zeit, dass die deutsche Künstlerschaft ihre
Stimme erhebt, um gegen jenen finsteren
und unlauteren Geist und gegen seine Macht-
gelüste energisch zu protestiren. Die un-
saubere, auf niedere Instinkte und blossen
Geldgewinn spekulirende Kunstübung wird
auch unter den strengsten »Sitten«-Gesetzen,
im Schatten der Heuchelei ungestört weiter
gedeihen; für die echte Kunst aber steht
sehr viel auf dem Spiel.«
 
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