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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 6.1900

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Heft 8 (Mai)
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Bücherschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.6696#0129

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Bücherschau: Hellmer's Lehrjahre in der Plastik.

411

BÜCHERSCflAU. 3©

Lehrjahre in der Plastik von Edmund
Hellmer. Wien 1900. Kunstverlag von Anton
Schroll. Professor Edmund Hellmer, dessen
plastische Werke wir in unserem II. Wiener
Sonder - Hefte (Februar) besprochen und
illustrirt haben, hat eine kleine interessante
Broschüre veröffentlicht, die sich mit der
Reform des bildhauerischen Unterrichts be-
schäftigt. Von der Frage ausgehend, wess-
halb die Bildhauerei, obwohl sie ursprüng-
lich aus dem Volke hervorgegangen, heute
so wenig Verständniss im Volke findet,
meint Hellmer, dass die Erklärung für diese
»Entfremdung« darin zu suchen sei, dass es
sowohl dem Publikum wie auch den meisten
Künstlern der Gegenwart an plastischem
Empfinden fehle, das Wort im weitesten
Sinne verstanden. Alles plastische Gefühl
wurzelt im »Material«, und dafür ist uns
das feinere Verständniss abhanden gekommen.
Schnitzten die Alten ihre Figuren aus Holz,
so haben sie solche dem Materiale ent-
sprechend ganz anders behandelt, als wenn
sie dieselben Figuren in Marmor meisselten,
in Metall schmiedeten oder in Bronze gössen.
Der kaum zu bearbeitende Granit der
Aegypter erklärt uns die Wirkung der ge-
schlossenen Monumentalität ihrer Götter-
gestalten, wogegen der leichter zu meisselnde
pentelische Marmor den Hellenen grössere
Freiheit gestattete. Die Elastizität und fast» Be-
weglichkeit« der Bronze muss den Plastiker,
wenn er das richtige Empfinden dafür hat,
stets von Anfang bis zur Vollendung des
Werkes beeinflussen. Um aber richtig zu
gestalten, dazu gehört Vertrautheit mit den
Eigenschaften und Bedingungen des Materials
als solches, bevor der erste Entwurf beginnt.
Die Mehrzahl unserer Bildhauer sind aber
— Modelleure. Thon, Wachs sind ihre
»Stoffe«. Während der Plastiker in schmieg-

samem Lehm arbeitet, lernt er nicht die
Sprödigkeit des Gesteines kennen, auf die
sein Werk später übertragen werden soll.
Einem solchen Werke merkt man die Her-
kunft an: es ist ein Bastard, ein »half-easte«
im künstlerischen Sinn. Die »Uebertragung«
selbst wird meist von Arbeitern ohne künst-
lerische Vorbildung besorgt, wobei alle In-
dividualität, jeder kraftvolle Eigenwille ver-
loren geht. Dagegen haben bekanntlich die
grossen Italiener, die Franzosen, Belgier und
unsere älteren, intimen deutschen Meister
alle selbst geschnitzt, gemeisselt, gegossen
und ziselirt. Warum heute nicht mehr?

Der »Kunstschule« blieb es vorbehalten,
das plastische Empfinden im Keim schon
zu ersticken. Hellmer tritt lebhaft für eine
Neugestaltung der plastischen Lehrmethode
ein. Die Bildhauerschule sollte vor allen
Dingen wieder in eine Werkstatt umge-
wandelt werden, worin der junge Bildhauer
nicht bloss auf zeichnen und modelliren ge-
drillt wird, sondern von Anfang an auf
meisseln, für Bronze und Metall bosseln und
giessen, auf holzschnitzen und ziseliren. »Vor-
mittags modelliren, Nachmittags meisseln«.
Modellirsäle, Marmor - Ateliers, Versuchs-
Bronzegiessereien, chemische Laboratorien
unter fachmännischer Leitung sollten ein-
gerichtet werden. Die Schüler würden dann
ein brauchbares Kontingent von Industrie-
arbeitern liefern. Die Auserwählten aber
würden zu der »Mündigkeit« durch Be-
herrschung aller Mittel kommen, die wir
an den Alten bewundern. Dadurch müsste
auch die Stillosigkeit verschwinden, denn
sie ist im letzten Grunde nur Mangel an
Folgerichtigkeit des Materials, das jedem
Künstler seinen Stil von selbst aufzwingen
muss, während es der Plastiker durch
seine Beherrschung zwingt, das Beste, was
es geben kann, herzugeben.

Mögen die Anregungen Hellmer's auf
fruchtbaren Boden fallen. w. Schölermann.
 
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