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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 6.1900

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Heft 9 (Juni)
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Schliepmann, Hans: Vom alten und neuen Flach-Ornament
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https://doi.org/10.11588/diglit.6696#0156

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Hans Schliepmanu: Vom alten und neuen Flach-Ornament.

HUGO VAN DER WOODE — KREFELD.

* Sommer-Abende, Aquarell-Studie.

leugbar gewisse neue ästhetische Werthe
geschaffen. Mit so schmaler Kost lässt sich
aber doch der Formenhunger einer entwicke-
lungskräftigen Zeit nicht wahrhaft stillen. Die
Gewaltthätigkeiten, die man begehen muss,
um dies zu verschleiern, zeigen sich bereits
in allerlei Stillosigkeiten, und Stillosigkeiten
sind das sicherste Zeichen, dass eine Kunst
nicht vollkommen gesund ist.

Auf keinem Gebiete zeigen sie sich so
deutlich, wie auf dem des Flachornamentes,
weil dieses, so zu sagen, »absolute Musik«
ist, durch Gegenstand, Zweckbestimmung und
Material am wenigsten beeinflusst wird. Dann
aber, ganz besonders noch, weil die Wirkung
des Flachornamentes nicht so sehr auf der
Linie, dem Hätschelkinde der Modernen, als
auf der Fläche, beruht. Wenn man diese
durch jene glaubt ersetzen zu können, so ist
das derselbe Irrthum, der unsere Zeit des
verlotterten Stilgefühles immer wieder zeigt,
indem sie z. B. Farben durch Worte, Vor-
gänge durch Musik u. s. w. ausdrücken will.

Die nächste Folge des einseitigen Linien-
kultus ist die Uebertreibung des Maassstabes,
denn um mit einem Unzulänglichen auszu-

reichen, muss man es eben strecken. Ich
weiss wohl, dass auch hier ein gesunder Zug
mitgewirkt hat: die sehr nothwendige Reak-
tion gegen das »Pimpelige«, wie es Ave-
narius äusserst treffend nennt, gegen die
alles verkritzelnde und verschnörkelnde
»Kunst«, wie sie z. B. unsere Zieröfen noch
jetzt grausig bedeckt, wie sie namentlich
unsere Tapeten noch immer wieder zu wahren
Folterwerkzeugen für gebildete Augen macht.
Aus dieser jämmerlichen Kunst unserer Drei-
mark-Bazare, die auf die sinnblöde Masse
rechnet und durch Formen-Menge die blöde
Illusion des einzig begehrten Reichthumes
zu wecken sucht, mussten wir allerdings
heraus. Aber liegt nicht auch darin wieder
nur ein neues Zeichen für unsere Sinnen-
blödheit, dass wir nur aus einem Aeussersten
ins andere hinübertaumeln können und nun,
wie ich oben verglich, ein Posaunen-Solo an
Stelle eines Symphonio setzen zu können
meinen? Da lässt z. B. der an sich höchst
begabte und eigenartige van de Velde aus
eichenen Bohlen fünf Meter hohe Schnörkel
schneiden (Kunstsalon Keller & Reiner in
Berlin); da ferner Eckmann für einen Leuchter
 
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