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Die Ausstellung künstlerischer Frauen-Kleider
ren künstlerischen Kultur dem allgemeinen
Geschmack aufhelfen; wichtig wäre es dann
aber, dass die Technik des Zuschneidens
jeder Frau schon in der Schule beigebracht
würde, was jedenfalls richtiger wäre als das
jahrelange Lehren von Kunststopfen oder
Namensticken.
Die Kunst, sich anzuziehen, muss gewisser-
maßen populär werden. Da ist es denn
doppelt zu begrüssen, dass sie einmal auf
dem grössten und modernsten Marktplatz von
Berlin zur Schau gestellt wird — im allum-
fassenden Warenhaus von Wertheim. Gerade
wie die hier ständig ausgestellten künstle-
rischen Zimmer, durch die jedes Dienstmädchen,
das seine Einkäufe in der Konserven-Abtei-
lung machen will, seinen Weg nehmen kann,
mehr erziehliche Wirkung ausüben, als alle
Aufsätze und Vorträge von Geschmacks-
Theoretikern, so wird die ständige Abteilung
von künstlerischen Damen-Kleidern das Pub-
likum an diese Tatsache wie an eine Selbst-
verständlichkeit gewöhnen. Leider wird das
beste Wirkungsmitte], die eben eröffnete Aus-
stellung der Kleider auf lebenden Modellen,
nicht mehr als zwei Wochen dauern. Vor
drei kleinen, mit frischen Flieder-Büschen,
geschmackvollen Möbeln und lila Seiden-
Gardinen duftig ausgeschmückten Kojen
drängt sich das grosse Publikum, von den
drinnen lustwandelnden schönen Kleidern
oder Schönbekleideten nur durch lila Seiden-
Bänder und Rosen-Ketten getrennt. Man
wagt sich an diese i 2 hübschen, dem Hause
Wertheim entnommenen Verkäuferinnen mit
den sonst üblichen Witzen merkwürdigerweise
nicht heran, sei es, dass man dem diesen
Mädchen eigenen geringschätzenden Blick
nichts zu bieten wagt, sei es — und das wäre
das Erwünschtere — dass die Wirkung der
ausgestellten Kleider so gross ist, dass selbst
der kritische Berliner Geist in Bewunderung
verstummt. Wer würde in der eben herein-
rauschenden königlichen Erscheinung mit dem
schleppenden lila Seiden-Kleide, den in origi-
neller Weise um die Ohren gesteckten reichen
braunen Flechten die Kassiererin von Kasse 7
vermuten? Wer an der vorteilhaften Ver-
wandlung zweifeln, die der kleinen sonst in
ein schwarzes hochschnürendes Modekleid
gepressten Schlips-Verkäuferin durch ein
duftiges gepufftes Mullkleid mit Rosenhut
widerfahren ist? Gerade aber in der Mög-
lichkeit dieser Beobachtungen, bis zu welcher
Wirkung eine Erscheinung durch ein an-
gepasstes Kleid gesteigert werden kann, liegt
die Bedeutung dieser Vorführung.
Die geniale Findigkeit der Wertheimschen
Geschäfts-Leitung hat in Fräulein Else Oppler
eine zielbewusste, leistungsfähige Künstlerin
gefunden, um sich von der neuen Einrichtung
dauernden Erfolg versprechen zu können.
Sie selbst ist voll Zuversicht, weil man ihr
bei unbeschränkten Mitteln im Arrangement
dieser Ausstellung wie auch sonst freie Hand
lassen wird. Unter ihrer Leitung sind bereits
fast sämtliche ausgestellte Kleider, auch die
von anderen Künstlern, entstanden und zwar,
was das Wichtige ist, den betreffenden Ver-
käuferinnen auf den Leib geschnitten. Auch
auf passende originelle Haar-Frisuren und
Hüte konnte zum ersten Mal hier Wert gelegt
werden. Fast sämtliche ausgestellte Kleider
verlangten aber auch sorgfältiges Anprobieren,
denn sie haben weder den Karakter eines
genial drapierten griechischen Gewandes,
noch den des hoch gegürteten Empire-Kleides,
noch den der Sackform, die bisher das Reform-
Kleid erkennen liess. Ihre Form schmiegt
sich fast genau dem Körper an, ohne
aber in der Mitte, weder durch Farbe noch
durch Gürtel, geteilt zu sein. Bei diesen
Kleidern kann man also gar nicht mehr von
dem allzu Legeren, Uneleganten reden, was
die pariserisch gekleidete Frau an der neuen
Mode tadelte. An diesen Reform-Kleidern
würde man selbst auf dem geschniegelten
Berliner Hofballe nichts aussetzen können;
man kann nicht einmal den modernen Kunst-
Karakter herausfinden, da das »sezessio-
nistische« Ornament fast gänzlich fehlt. Und
hierin liegt ein grosser Fortschritt der Be-
wegung.
Wie jede neue Kunst-Richtung mit dem
äusserlichen Dekor anfängt, so fing auch
die neue Kleider-Bewegung damit an, auf
das alte Kleid ein neues Ornament zu heften.
Man erinnere sich nur der ersten Ausstellung
in Crefeld. Es ist daher hoch erfreulich, dass
man, wie die jetzige Ausstellung zeigt, nun-
Die Ausstellung künstlerischer Frauen-Kleider
ren künstlerischen Kultur dem allgemeinen
Geschmack aufhelfen; wichtig wäre es dann
aber, dass die Technik des Zuschneidens
jeder Frau schon in der Schule beigebracht
würde, was jedenfalls richtiger wäre als das
jahrelange Lehren von Kunststopfen oder
Namensticken.
Die Kunst, sich anzuziehen, muss gewisser-
maßen populär werden. Da ist es denn
doppelt zu begrüssen, dass sie einmal auf
dem grössten und modernsten Marktplatz von
Berlin zur Schau gestellt wird — im allum-
fassenden Warenhaus von Wertheim. Gerade
wie die hier ständig ausgestellten künstle-
rischen Zimmer, durch die jedes Dienstmädchen,
das seine Einkäufe in der Konserven-Abtei-
lung machen will, seinen Weg nehmen kann,
mehr erziehliche Wirkung ausüben, als alle
Aufsätze und Vorträge von Geschmacks-
Theoretikern, so wird die ständige Abteilung
von künstlerischen Damen-Kleidern das Pub-
likum an diese Tatsache wie an eine Selbst-
verständlichkeit gewöhnen. Leider wird das
beste Wirkungsmitte], die eben eröffnete Aus-
stellung der Kleider auf lebenden Modellen,
nicht mehr als zwei Wochen dauern. Vor
drei kleinen, mit frischen Flieder-Büschen,
geschmackvollen Möbeln und lila Seiden-
Gardinen duftig ausgeschmückten Kojen
drängt sich das grosse Publikum, von den
drinnen lustwandelnden schönen Kleidern
oder Schönbekleideten nur durch lila Seiden-
Bänder und Rosen-Ketten getrennt. Man
wagt sich an diese i 2 hübschen, dem Hause
Wertheim entnommenen Verkäuferinnen mit
den sonst üblichen Witzen merkwürdigerweise
nicht heran, sei es, dass man dem diesen
Mädchen eigenen geringschätzenden Blick
nichts zu bieten wagt, sei es — und das wäre
das Erwünschtere — dass die Wirkung der
ausgestellten Kleider so gross ist, dass selbst
der kritische Berliner Geist in Bewunderung
verstummt. Wer würde in der eben herein-
rauschenden königlichen Erscheinung mit dem
schleppenden lila Seiden-Kleide, den in origi-
neller Weise um die Ohren gesteckten reichen
braunen Flechten die Kassiererin von Kasse 7
vermuten? Wer an der vorteilhaften Ver-
wandlung zweifeln, die der kleinen sonst in
ein schwarzes hochschnürendes Modekleid
gepressten Schlips-Verkäuferin durch ein
duftiges gepufftes Mullkleid mit Rosenhut
widerfahren ist? Gerade aber in der Mög-
lichkeit dieser Beobachtungen, bis zu welcher
Wirkung eine Erscheinung durch ein an-
gepasstes Kleid gesteigert werden kann, liegt
die Bedeutung dieser Vorführung.
Die geniale Findigkeit der Wertheimschen
Geschäfts-Leitung hat in Fräulein Else Oppler
eine zielbewusste, leistungsfähige Künstlerin
gefunden, um sich von der neuen Einrichtung
dauernden Erfolg versprechen zu können.
Sie selbst ist voll Zuversicht, weil man ihr
bei unbeschränkten Mitteln im Arrangement
dieser Ausstellung wie auch sonst freie Hand
lassen wird. Unter ihrer Leitung sind bereits
fast sämtliche ausgestellte Kleider, auch die
von anderen Künstlern, entstanden und zwar,
was das Wichtige ist, den betreffenden Ver-
käuferinnen auf den Leib geschnitten. Auch
auf passende originelle Haar-Frisuren und
Hüte konnte zum ersten Mal hier Wert gelegt
werden. Fast sämtliche ausgestellte Kleider
verlangten aber auch sorgfältiges Anprobieren,
denn sie haben weder den Karakter eines
genial drapierten griechischen Gewandes,
noch den des hoch gegürteten Empire-Kleides,
noch den der Sackform, die bisher das Reform-
Kleid erkennen liess. Ihre Form schmiegt
sich fast genau dem Körper an, ohne
aber in der Mitte, weder durch Farbe noch
durch Gürtel, geteilt zu sein. Bei diesen
Kleidern kann man also gar nicht mehr von
dem allzu Legeren, Uneleganten reden, was
die pariserisch gekleidete Frau an der neuen
Mode tadelte. An diesen Reform-Kleidern
würde man selbst auf dem geschniegelten
Berliner Hofballe nichts aussetzen können;
man kann nicht einmal den modernen Kunst-
Karakter herausfinden, da das »sezessio-
nistische« Ornament fast gänzlich fehlt. Und
hierin liegt ein grosser Fortschritt der Be-
wegung.
Wie jede neue Kunst-Richtung mit dem
äusserlichen Dekor anfängt, so fing auch
die neue Kleider-Bewegung damit an, auf
das alte Kleid ein neues Ornament zu heften.
Man erinnere sich nur der ersten Ausstellung
in Crefeld. Es ist daher hoch erfreulich, dass
man, wie die jetzige Ausstellung zeigt, nun-