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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 14.1904

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Hirschwald, Hermann: Welcher Gegenstand ist kunstgewerblich?, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7009#0171

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522

Welcher Gegenstand ist kunstgewerblich?

Zwecke, so haben wir ein Werk der Kunst vor
uns. Je gleichmäßiger sich beide Qualitäten zur
Wahrnehmung durchringen, um so sicherer wird
man den Gegenstand dem Kunstgewerbe zu-
schreiben müssen. Weil die künstlerischen und
gewerblichen Qualitäten sachlich und individuell
ganz verschieden empfunden werden, so sind
strittige Fälle niemals aus der Welt zu schaffen
— unstrittig sind auch hier nur die Endpunkte
der Reihe: Werke der Kirnst wollen begriffen,
erlebt sein; Erzeugnisse des Handwerks
"wollen benützt sein.

Technisch vollendete Arbeit und gediegenes
Material sind selbstverständliche Voraussetzungen,
und wo sie fehlen, kann es sich weder um
Kunst, noch um Kunstgewerbe oder Handwerk
(bezw. Industrie) handeln, hier gilt dann der
eine Sammelname: Schund!

Muss eine Definition gegeben werden, so
schlage ich vor:

■»Kunstgewerblich ist jedes Erzeugnis der
Kunst, des Handwerks und der Industrie,
dessen künstlerische Konzeption die ästhe-
tischen Regungen des gebildeten Menschen
weckt, und das gleichzeitig einem praktischen
Zwecke dient«.

Für gewöhnlich dürfte aber genügen: »Kunst-
gewerbe ist die angewandte Kunst«.

Wilh. Stöffler—Pforzheim: Dem deutschen
Kunstgewerbe muss sein seit 1871 mühsam er-
oberter Anteil an künstlerischer Betätigung nicht
nur erhalten, sondern vertieft und vermehrt werden,
wenn es zu dauernder Blüte gelangen soll.

Ich bin daher nicht der Meinung, dass man
recht weit ausholen sollte, um den Begriff der
kunstgewerblichen Eigenschaft zu decken.

Im (legenteil! Mir scheint, die Herbeiführung
einer präzisen Unterscheidung zwischen dem,
was das Kunstgewerbe und dem, was die kunst-
industrielle Massen-Fabrikation hervorbringt, ist
eine Lebensfrage für das Kunstgewerbe geworden.

Wenn die Kunstindustrie sich gute Entwürfe
und von geübter Hand teuere Modelle leistet
und dann von einem Muster tausende von Exem-
plare absetzt, so ist das klug und erkennenswert;
aber sei das Muster auch noch so gut, als Ge-
brauchsobjekt hat es nur bedingten Anspruch
auf den Begriff »kunstgewerblich«. Einmal, weil
das künstlerische Empfinden bei Massenprodukten
auch bei gutem Modell meist recht schwer zu
ermitteln ist; zum andern, weil mit seltenen
Ausnahmen das Material entweder ganz oder
teilweise imittiert ist, wodurch dann dem Gegen-
stande die Hauptsache: nämlich die innere
künstlerische Einheit, die Harmonie zwischen
Form und Material fehlt.

So z. B. wird es hoffentlich nie dahinkommen,
dass ein gestanzter Anhänger aus Double, auch
wenn seine Form noch so geschmackvoll ge-
arbeitet und das Ganze mit unechten Steinen und

reizenden, zarten Vergoldungs-Farben nuanciert
ist, als kunstgewerblicher Gegenstand in Vergleich
gebracht werden darf mit demselben Schmuck-
gegenstand, den ein tüchtiger Goldschmied zu
dem zu verwendenden Steinmaterial entworfen
und von Hand montiert hat. Unzählige Male
dreht er ihn, während sein echtes Material all-
mählich Gestalt und Farbe gewinnt, herum —
besieht ihn von der einen, besieht ihn von der
anderen Seite — hebt da heraus — dämpft oder
reduziert dort, bis er endlich seine Arbeit soweit
hat, dass sie ihn befriedigt. Ein so entstandener
Gegenstand aus der Hand eines Meisters zeigt
Harmonie, weil er ihn nach seiner künstlerischen
Empfindung gestalten konnte. Beim Massen-
produkt ist dazu wenig Gelegenheit. Darum
sage ich als ausübender Fachmann:

»Ein Gegenstand ist nur dann als kunstgewerblich
zu bezeichnen, wenn er von Hand gearbeitet und
in der Ubereinstimmung zwischen Zweck, Form
und Material ein kleineres oder grösseres Maß
künstlerischen Empfindens wahrnehmbar ist.«
Gegenstände der kunstindustriellen Massen-
Fabrikation können wohl künstlerisch, an-
sprechend, ja sogar in der Form tadellos sein,
aber als Ganzes sind sie kein künstlerisches,
sondern ein Fabrikations-Produkt.

Richard Grimm — Krefeld : Unklarheit
und »Vorspiegelung falscher Tatsachen« ver-
wischen fortgesetzt offenkundige Unterschiede.
Lithographische oder photomechanische Anstalten
pflegen sich mit Vorliebe als »Lithographische
Kunstanstalten'.1, die letzteren schlankweg als
Kunstanstalten zu bezeichnen usw. Gewerbler
wollen Kunstgewerbler, Baugewerbler wollen
Baukünstler sein. Auch in gelehrten Büchern
findet man immer wieder diese Begriffs-Ver-
wechslungen. Für die Schaffenden und die
wirklich Verständigen waren die Grenzen aller-
dings nie verwischt. Die Verwirrung haben die
Dilettanten, die legitimen wie die illegitimen,
und die geschwätzigen Propagandisten angerichtet.
Was ist Gewerbe ? Was ist Kunstgewerbe ?
Unter einer gewerblichen Leistung — Lei-
stung, nicht etwa gewerbliches Erzeugnis -
verstehe ich eine technisch gute, zweckmäßige, ge-
brauchsfähige und gut gebildete Form (Gegenstand).

Eine kunstgewerbliche Leistung nenne ich
die, welche in bezug auf Technik, Material,
Zweckmäßigkeit, Gebrauchsfähigkeit etc. dieselben
Qualitäten aufweist — also gewerblich perfekt
ist — und ausserdem künstlerisch konzipiert
ist. Das »Schmücken« macht keinen Gegenstand
zu einem kunstgewerblichen, sondern lediglich
die künstlerische Konzeption. Diese kann
schmucklos oder schmückend arbeiten; das ist
individuell. Andererseits braucht ein geschmückter
Gegenstand weder ein kunstgewerblicher noch
ein gewerblicher zu sein. Das ist Bazarware!

(Schluss folgt.)
 
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