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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 14.1904

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Hirschwald, Hermann: Welcher Gegenstand ist kunstgewerblich?, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7009#0235

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586

Welcher Gegenstand ist kunstgewerblich?

die Hebung der künstlerischen Bildung, um die
sich gerade die »Deutsche Kunst und Dekoration«
so hohe Verdienste erworben hat.

Prof. Karl Koepping—Berlin: Wer an einem
gewerblichen Erzeugnis das Künstlerische als das
Verziertsein mit Ornamenten, begreift, wird unter
Umständen, bei einer auf einen minimalen Grad
herabsinkenden Ornamentation in Zweifel sein
können, ob, oder ob nicht Kunstgewerbliches
vorliege. Wer, statt jene seichte, aber bei einem
grossen Publikum im Schwange befindliche Auf-
fassung, zu teilen, vielmehr eine tiefere Ansicht
hegt, die von Alters bis zum beginnenden
19. Jahrhundert in der kunstgewerblichen Pro-
duktion praktisch betätigt, wenn auch nicht
theoretisch erörtert wurde, die von da an bis
jetzt zahlreiche Bekenner in Wort und Schrift,
dafür aber nur wenig praktische Befolgung ge-
funden hat, — diese Ansicht nämlich: das
Künstlerische an (legenständen des Gewerbes
beruhe auf dem natürlichen Herausgewachsensein
aller Konstruktions- wie auch Zierformen, einer-
seits aus dem Zweck, andererseits aus den an
die Eigenart des Materials sich knüpfenden Her-
stellungs-Bedingungen, — der wird auf ähnliche
zweifelhafte Gebiete stossen. In Fällen schlich-
tester Gestaltung, die dem allereinfachsten Be-
dürfnis in vernünftiger Weise entspricht, bei
primitiven Aufgaben also, deren Lösung viele
Personen unabhängig von einander in überein-
stimmender Form finden, wird trotz aller Logik
der Formgebung der kunstgewerbliche Karakter
nicht zuerkannt werden können. Dass diese
Logik nicht genügt, um ein Erzeugnis zu einem
kunstgewerblichen zu machen, beweisen Gegen-
stände, deren Gestaltung sich mit absoluter Folge-
richtigkeit aus Zweck und Herstellungs - Material
ableitet, und die Niemand im Ernst kunstgewerb-
liche Objekte nennen wird: Maschinen, wissen-
schaftliche, chirurgische Instrumente.

Daraus geht hervor, dass, wenn von kunst-
gewerblichen Gegenständen geredet werden soll,
noch etwas über die Vernünftigkeit, Zweckmäßig-
keit und Material-Gerechtigkeit hinaus gefordert
werden muss, nämlich, dass die Erscheinung des
Gegenstandes (man kann, neben der Form, auch
die Farbe, die Oberflächen - Beschaffenheit u. a.
mit einbegreifen), wenn auch aus den Geboten
der Zweck- und Material-Gemäßheit entwickelt,
so doch mit einer gewissen bereichernden, um-
schreibenden, das absolut Notwendige mit leichtem
Schritt hinter sich lassenden Fantasie entwickelt
sein soll. Wohlgemerkt, diese Fantasie sei eine
bildnerische, ja keine literarische — nur zu oft
scheitern wir an dieser Klippe. Schon in den
Maßverhältnissen des Gegenstandes und seiner
Teile unter einander kann sie unter Umständen
allerschlichtesten Ausdruck finden. Wir ver-
meiden das Wort »Geschmack«; zunächst, weil
der Einwand so leicht erhoben werden kann,

welches dann die etwa vorausgesetzten Gesetze
des Geschmackes seien und ob sie denn so fest
und klar dargelegt werden könnten, dass ihre
Befolgung oder Nichtbefolgung gegebenen falls
unzweifelhaft und so ein Kriterium für Zuer-
kennung des Titels »künstlerisch« gegeben sei.
Und da ist freilich anzuerkennen, dass, wenn
auch die Gesetze des Geschmacks als in der im
grossen und ganzen gleichen Organisation aller
Menschennaturen begründet und als deshalb vor-
handen gelten müssen, sie doch wegen der im
Einzelnen unendlich mannigfaltigen Organisation
der Individuen wohl kaum anders als für die
grossen Grundzüge künstlerischer Gebiete fest-
gestellt werden können. Alsdann kommt es aber
hier auch nur auf Feststellung des Begriffes
»kunstgewerblicher Gegenstand« an, ohne Rück-
sichtnahme darauf, ob ein bestimmtes Objekt
höher oder tiefer auf der Stufenleiter künst-
lerischer Wertmessung gestellt werden muss, ob
ein feinerer oder roherer Geschmack bei seiner
Schöpfung in Tätigkeit trat.

Wir werden also einen Gegenstand kunst-
gewerblich nennen, der zunächst gewerblich ist,
d. h. einen Gebrauchszweck hat (womit die sog.
selbständigen, freien, bildenden Künste aus-
geschlossen sind) und dessen Erscheinung von
einer bildnerischen Fantasie, die von dem Zweck
des Gegenstandes und den Eigentümlichkeiten
des Herstellungs - Materials ausging, festgestellt
wurde. Diese Begriffsbestimmung schliesst, man
mag vielleicht meinen, zu Unrecht, eine grosse
Kategorie ins Kunstgewerbe ein, die man ge-
meinhin dazu nicht rechnet, nämlich die ge-
samte Produktion der Baukunst. 'tatsächlich
aber ist ein Werk der Baukunst kunstgewerblich;
lediglich der Sprachgebrauch weist ihm eine
andere Stelle an. Zwei andere Gebiete dagegen,
die man allgemein als kunstgewerbliche begreift,
scheinen durch die Definition aus dem Kunst-
gewerbe ausgeschlossen-, das der Ziergegenstände,
die einen wirklichen Gebrauchszweck nicht be-
sitzen und das der Verzierungen, die mit Kon-
struktion und Zweck des verzierten Gegenstandes
ausser direkter Verbindung stehen. Im ersten
Falle haben wir gleichwohl Kunstgewerbliches
vor uns, sobald ein Gebrauchszweck fein, aber
deutlich, gleichsam künstlerisch verklärt, noch
durchschimmert. Ziergefässe oder Gegenstände
des Körperschmucks sind unter Umständen Bei-
spiele hiervon. Machen sich im zweiten Falle
die Verzierungen unverstanden an unpassenden
Stellen breit, so fehlt zum Begriff des Kunst-
gewerblichen eben das Künstlerische. Sie haben
im Gegenteil volle kunstgewerbliche Berechtigung,
wenn sie sich auf neutralen, nicht konstruktiven,
sondern blos raumabschliessenden Flächen aus-
breiten (Malereien oder Intarsien auf Tür-
füllungen z. B.). Hier drücken sie gerade recht
deutlich die blos raumabschliessende Funktion
 
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