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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 15.1904-1905

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Frank, Willy: Willi Geiger - München
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https://doi.org/10.11588/diglit.7137#0236

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WILLI GEIGER—MÜNCHEN.

»Schlittenfahrt«.

WILLI GEIGER—MÜNCHEN.

Die Zeiten, in denen der Jüngling ein
himmelblauer Träumer und begeiste-
rungsfähiger Anwalt des »Guten, Wahren
und Schönen« gewesen, scheinen heute end-
gültig vorüber zu sein. Wer die Jugend
heute noch als die Periode hochfliegender
Gedanken und erdfremder Ideale hinstellt,
spricht eine konventionelle Lüge aus, die
sich an der Tragödie »Jugend« in unver-
zeihlicher Weise versündigt. Das jugend-
liche Denken tritt in unseren Tagen unzwei-
deutig als Knecht der Tatsachen auf, es
klammert sich trotzig an die Empirie und
steht allen Versuchen, das Wirkliche idea-
listisch zu steigern, mit zornigem Misstrauen
gegenüber. Die Begriffe Wahrheit und
Wirklichkeit fallen für das junge Gehirn zu-
sammen; und seine traditionelle Kühnheit
bewährt der Jüngling unserer Zeit nicht in
der Auftürmung luftiger Gedankenwelten,
sondern in trotzigen Sturmläufen gegen das
Ideal, in welcher Gestalt es auch auftreten
mag. Das Niedrige und Abstossende des
Gern ein-Wirklichen will er eher noch steigern
als verhüllen. Er ist geneigt, die grellen
Dissonanzen des Lebens mit schmerzhafter
Wucht zu unterstreichen und geberdet sich
als geschworenen Feind jeder Versöhnung,

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die er gerne als Lüge und kränkliche Kom-
promiss-Sucht verleumdet. Die jungen Ge-
hirne unserer Zeit schleppen solchermaßen
Zwiespälte mit sich herum, die eben nur die
Jugend zu ertragen vermag, Sie sind am
Ideal nicht interessiert, weil ihnen sogar das
Leben gleichgültig ist. Denn erst wenn das
Leben für den Menschen Wert gewinnt,
denkt er daran, das Bauwerk seines Daseins
mit den schimmernden Göttergestalten der
Idee zu krönen.

Diese spezifischen Eigenschaften der
Jugend wirken auf das Schaffen des hoch-
begabten Münchner Zeichners Willi Geiger
unverkennbar ein. Ja, sie treten hier noch
mit verschärfter Wucht hervor, weil sie
durch ein herbes, sinnliches Temperament
wesentlich unterstützt werden. Es ist ein
Temperament voll Härte, Schwere und Kraft,
das sich an seiner lachenden Lieblosigkeit
bacchantisch berauscht. Mit der Haltung
brutaler Breitbeinigkeit pflanzt sich Willi
Geiger vor den grässlichen Widersprüchen
des Lebens auf und rühmt sich wie der
junge Caligula trotzig seiner »Ataraxie«, an
der alle Pfeile des Leides wie an einem
Eisenpanzer abprallen. Den sinnlosen Roh-
heiten des Lebens, den tausend Nadelstichen,

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