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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 15.1904-1905

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Frank, Willy: Willi Geiger - München
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https://doi.org/10.11588/diglit.7137#0242

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Willy Frank—München: Willi Geiger.

vollen Begrenztheit mensch-
licher Existenz. »Ständ-
chen« heisst ein Blatt in
seinem neuen Radier-
zyklus »Liebe«, der dem-
nächst erscheinen soll. Vor
dem Fenster der Geliebten
plärrt ein verliebter, lächer-
lich dürrer und schmach-
tender Seladon zur Gui-
tarre ein empfindsames
Lied. Aber im Dunkel
der Nacht schleicht schon
der Nebenbuhler auf den
Ahnungslosen zu, um ihm
das gezückte Stilett zwi-
schen die mageren Rippen
zu bohren. Hier treten die
Widersprüche, aus denen
Geigers schmerzhafte Ironie
entsteht, zufällig auf dem-
selben Blatte zu Tage.
Auf anderen Darstellungen
verschweigt der Künstler
den Gegensatz, der ihn
den Menschen in diesem
kaustischen Licht erblicken
lässt (vgl. d. »hohe Lied«).
Er verschweigt aus jugend-
licher Schamhaftigkeit das
Ideal, an dem gemessen
ihm die Wirklichkeit so
unzulänglich, so traurig,
so »hässlich« erscheint. Geiger ist ein um-
gekehrter Idealist, denn:

Jede Fratze

Zeugt für den Gott, den sie entstellt!

Geiger ist Ironiker. Er ist Spötter, roman-
tischer Spötter aus Mitleid. Wer das schaurige
Leid des Sterbenmüssens so qualvoll mit-
empfindet, wie Geiger in der Radierung
»Welken«, dem muss man es wohl vergeben,
wenn er sein Herz mit Hohn wie mit Wall
und Graben schirmt.

Die Blätter, die unseren heutigen Repro-
duktionen zu Grunde liegen, betonen vor-
zugsweise nur eine Seite von Geigers Wesen.
Von dem »Hohen Liede« abgesehen, erscheint
er hier lediglich als freier, lyrischer Phantast,
der groteske Varietemotive mit ungebundener

WILLI GEIGER—MÜNCHEN.

»Das hohe L,ied*

Laune behandelt. Die kalte nordische Schnee-
landschaft, das magere, struppige Renntier,
das ungefügte Nilpferd und der zersauste
Eisbär passen sich dem rauhen Geiste seiner
Kunst und ihrer »ruppigen« Strichel-Technik
vorzüglich an. Reinste Lyrik beherrscht die
Zeichnung »Sternschnuppen«, deren voller
gelöster Akkord bei Geiger schier über-
raschend wirkt, Mit einer Wärme, die seinem
sonstigen Gebahren so ferne liegt, hat er
hier ein einfaches, schlichtes Naturmotiv auf-
gegriffen und ohne jeden ironischen Seiten-
blick dargestellt. Während er sich sonst nur
in Epigrammen und burlesken Bonmots
bewegt, hat er hier ein sanftes und beinahe
wehmütiges Lied gedichtet.

Willi Geiger ist 1878 in Landshut in

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