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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 15.1904-1905

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Perzyński, Friedrich: Walther Schmarje
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https://doi.org/10.11588/diglit.7137#0253

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Friedrich Perzynski— Charlottenburg :

w. schmarje—Berlin. Büste seines Vaters.

ung des Cellinischen Lebens auf unsere Zeit.
— Directoire- und Empirestil begannen, die
heroisch-pathetische Nüance durch verstandes-
mässige Trockenheit, den convulsivisch ver-
zerrten Barock-Akt durch ein immer süsser
werdendes Cantabile der Formensprache zu
ersetzen. Die nüchterne Intimität des Empire
geriet durch den Biedermaiergeschmack in
den warmen Dunstkreis philiströser Gemütlich-
keit. Dann säten politische und ökonomische
Umwälzungen Tollkraut in die Gehirne der
Bürger, und ein »neuer« Kunststil, der
eklektische, wurde Dolmetsch einer ebenso
mächtigen wie unklaren Kultursehnsucht.

Die Stilplünderung ist in Misskredit ge-
raten. Auch aus den Mietshäusern werden
langsam die barocken Türverdachungen, die
Stuckdecken mit den schlecht kopierten
Grotesken, die imitierten Damasttapeten aus
Papier wie die Karyatiden von den wild-
profilierten Fassaden verschwinden. Mit der
Kenntnis der Geschichte (nicht jener, die in
Schulen gelehrt wird) ist der Stolz auf die
selbständige Leistung gewachsen, ist die
Freude an der harmonischen Ausbildung der
Persönlichkeit, aller ihrer Talente, neuerwacht.
Immer häufiger taucht das Fremdwort
246

»Renaissance« zwischen Gesprochenem und
Geschriebenem auf.

Die Kultur von übermorgen wird eine
sehr andere sein als die des Cinquecento, aber
sie wird mit ihr die feine Sensualität gemein
haben, die im 16. Jahrhundert das Eigentum
so vieler einfacher Menschen und die Ursache
so tiefer künstlerischer Wirkungen war.
Worauf wir hinausarbeiten, ist ein auf sicherem
Instinkt beruhendes ästhetisches Urteil, ob
es nun aus dem Munde eines Kunstprofessors
oder eines Handwerkers kommt.

Zur Beruhigung unserer durch den Stil-
mischmasch verbildeten Geschmacksnerven
scheint mir nichts heilsamer gewesen zu sein
als das Operieren unserer Architekten mit
geraden Linien, die Furcht vor jeder ent-
behrlichen Verzierung. Können wir unsere
Bescheidenheit, den Wunsch, in ruhigen
Etappen aufwärts zu steigen vom Mager-
Zweckmäßigen zum Anmutig-Reichen sym-
pathischer dokumentieren als durch ein
Zurückgreifen auf geometrische Urformen?
Auf den Tapeten schreien nicht mehr die
Papageien und Kolibris des Urwaldes, die
Fenstervorhänge erzählen keine deutschen

w. schmarje—berlin. Büste seiner Mutter.
 
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