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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 15.1904-1905

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Jaumann, Anton: Vereinfachen und Stilisieren
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https://doi.org/10.11588/diglit.7137#0271

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Anton [aumann:

CARL HUBER—MÜNCHEN.

VEREINFACHEN

Wir haben neuerdings oft gehört, dass
beim Zeichnen die wichtigste Tätig-
keit im Weglassen bestehe, so wie die Kunst
des Dichters eher daraus erkannt wird, was
er verschweigt, als aus dem, was er erzählt.
Nun scheint aber diese Kunst des Weg-
lassens durchaus nicht so leicht zu sein;
denn es genügt nicht, aus der Reichhaltig-
keit der Natur willkürlich das eine wieder-
zugeben, das andere nicht. Dass die Zeich-
nung des Künstlers weniger Details enthalte,
als die Natur, macht sie noch nicht zum
Kunstwerk; warum sollte auch gerade eine
Verminderung des Inhaltes diese Wirkung
haben? Was hätte es für einen Sinn, neben
dem Reichtum der Natur einen ärmlichen
Abklatsch von ihr herzustellen? Die Kunst
soll doch vielmehr das Leben steigern und
bereichern! Also darf der Künstler bei jener
Weglassung nicht wahllos vorgehen, er muss
sie rechtfertigen durch das Mehr, das er auf
der anderen Seite bietet. Und dies besteht
im reineren und stärkeren Hervortreten des
Wesentlichen und in der Grösse des Aus-
264

Grabmal, ein I.—II. Preis.

UND STILISIEREN.

drucks, die ohne Einfachheit nicht möglich
ist. Es setzt jedoch schon eine bedeutende
Einsicht in künstlerische Dinge voraus, zu
entscheiden, welche Details einer Sache
wesentlich sind und welche nicht, und der
Künstler muss sich von vornherein im klaren
sein, welche Gesamtwirkung er schliesslich
erzielen will; denn je nach der künstlerischen
Absicht wird bald diese, bald jene Einzel-
heit als wesentlich oder unwesentlich, not-
wendig oder störend erscheinen. Auf jeden
Fall aber besteht das Weglassen nicht in
einem blossen Leerlassen der Stelle, wo das
überflüssige oder störende Detail sich be-
fand. Denn in der Natur hängen alle Dinge
zusammen und eins ist vom andern bedingt
und beeinflusst. Wenn wir also einen Stein
aus dem grossen Bau herausnehmen, ist Ge-
fahr, dass seine Nachbarschaft, die er doch
durch seine Gestalt mitbestimmte, ohne ihn
nicht mehr restlos verstanden werde. Das
Neue, Einfachere, was wir an die Stelle des
Komplizierten, mit Zufälligkeiten Behafteten
setzen, muss in sich ebenso notwendig und
 
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