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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 37.1915-1916

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Raphael, Max: Über die Arbeit des Künstlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.8533#0087

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Über die Arbeit des Künstlers.

PROFESSOR EMANUEL V. SEIDL.

»DAMENZIMMER

IM HAUSE H. SCHÖLLER.

So wird die Arbeit vom Künstler selbst nicht
mehr als eine Stückleistung empfunden, sondern
als angeborener und höchster Lebensprozeß.
Mit diesem hat die schöpferische Tätigkeit ge-
mein, daß sie nicht zerteilt werden kann, ohne
an dieser Wunde zu verbluten. Der Gedanke
der Arbeitsteilung, wie ihn van Gogh gehegt
hat, ist gegenüber der genialen Tat undurch-
führbar, zeigt nur, daß der, der ihn anwenden
will, sich überhaupt nicht im Bereich der
Schöpfung, sondern dem der Beschreibung be-
findet. Als Lebensprozeß ist sie auch der über-
beleuchteten Helle des Bewußtseins, der reinen
Mechanik, d. h. Berechenbarkeit des Geistes-
lebens entzogen, sie steht „zwischen dem In-
stinkt des Tieres und dem Bewußtsein des
Menschen" (Hebbel) mitten inne. Der Künstler
kann nicht auf seine Arbeit losgehen wie irgend
ein Handlanger, dem die Arbeit etwas von
außen positiv und handgreiflich Gegebenes ist;
er muß sie gleichsam erwarten. „Bereit sein ist
alles." Das heißt nun nicht, daß der Künstler
nur die Hände in den Schoß zu legen braucht,

bis ihm die sog. Inspiration alles fix und fertig
eingibt, so daß er nur das in der Vorstellung
fertige Bild herunterzumalen braucht. Der Be-
griff der Eingebung hat die Vorstellung von der
Arbeit des Künstlers sehr verwirrt und man
wird sich, wenn man zu einer rechten Schätzung
kommen will, daran gewöhnen müssen, die
Musen in sehr grobleinenen Arbeitskitteln vor-
zustellen. Wie groß auch der Anteil des Un-
bewußten an der künstlerischen Produktion
sein mag, wir werden es uns, um es überhaupt
zu fassen, als durch einen unerforschten Ent-
materialisierungs- und Verschmelzungsprozeß
derjenigen Elemente entstanden denken müssen,
die der Künstler durch seine Anschauung der
Welt, d.h. durch seine ununterbrochene geistige
Tätigkeit gewonnen hat. Wieweit nun das
irrationale Element sich erstreckt, wie Bewußtes
und Unbewußtes sich in der künstlerischen
Arbeit verteilen, wie groß also der Anteil der
Arbeit bei der Produktion ist, darüber hat
Goethe Eckermann allgemeingültige Aufklä-
rungen gegeben. „Jede Produktivität höchster
 
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