Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 37.1915-1916

DOI article:
Bildhauer Ludwig Gies
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8533#0168

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
IUI.I)H. LUDWIG GIES—MÜNCHEN.

Die Flüchtlingsbilder,
die der Münchener
Ludwig Gies in dem Maß-
stab zierlicher Anhänger
gleich Szenen einer Pup-
penbühne vorführt, umge-
ben das Elend mit dem mil-
den Schein eines Humors,
der in Tränen lächelt.
Sie erzählen das Grausen
von Gestern in einer
historisch gebundenen
Form, als ob es sich um
Erinnerungen an luisische
Zeiten oder an den sieben-
jährigen Krieg handelte.
So rasch kann der Künst-
ler über ein schreckliches
Geschehen hinwegkom-
men, indem er es gestaltet.
Hier ist die Distanz, die
für das künstlerische
Schaffen (angeblich) so un-
entbehrlichist, bereits vor-
handen, die Darstellungen
wirken auch auf uns als
reine plastische Gestal-
tung. Was Ludwig Gies
in den zartgefühlten Ova-
len mit keuscher Model-
lierung erzählt, ist schon
so fern von den Gräßlich-
keiten dieses Krieges, daß
wir bereits in andeutenden
Linien sehen, wie unsere
Kunst über den gestalt-
losen Schrecken hinweg-
kommen wird. „Du wirst
aus Dornen Honig saugen",

>KRIEGS-I)ENKMl N/.EN I". ANHÄNGER IN SILBER«

»OSTPREUSS. KRIEGSFLÜCHTLINGE«

heißt es auch hier. Was
hat Gies aus den Wehen
der Ostpreußentage in der
Erinnerung festgehalten?
Frauliche Trauer von un-
sagbar feinem Reiz, Kin-
derelend, stets auf der
Kippe zu drolligem Spiel,
ein Wirrwarr von allerlei
Hausrat, Ruinen, Katzen,
Vögeln, Greisen und Säug-
lingen , alles getaucht in
lächelnde Wehmut, in eine
zarte Grazie der Darstel-
lung, die das Schmerz-
lichste in ein liebes Bild
verwandelt. — Doch als
Schließen und Anhänger
sind diese Szenerien m. E.
immer noch zu schwer.
Mit derf lotten Architektur
des weiblichen Kleides
vertragen sie sich nicht.
Aber vielleicht eignen sie
sich für Petschaften, für
Geldschein- oder Zigaret-
tendosen; etwas vergrö-
ßert und monumentalisiert
dürften sie einguter Ersatz
sein für die immer so frag-
würdigen Denkmalreliefs.
Man stifte sie als Erinne-
rungstafeln, man setze sie
in Rathaus- und Kirchen-
türen , wie das ehedem
Sitte war! Unsere Archi-
tektur braucht Reliefs,
wie diese Ostpreußen-
bilder, dringend. — a. j.
 
Annotationen