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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 37.1915-1916

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Zoff, Otto: Nachwort zum deutschen Impressionismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.8533#0355

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NACHWORT ZUM DEUTSCHEN IMPRESSIONISMUS.

"X Tiemand kann sich länger der Tatsache ver-
1^ schließen, daß der Impressionismus zu Ende
geht. Über ihn, der durch ein halbes Jahrhun-
dert die Welt beherrscht hat, ist so viel gesagt
worden, daß jedes weitere Wort überflüssig
erscheinen könnte. Im folgenden soll aber nur
ein Nachwort für den deutschen Impressio-
nismus versucht werden, der — so hat man uns
oft gesagt — nicht mehr als eine platte Nach-
ahmung des französischen darstellen soll. Die-
ser Vorwurf soll widerlegt werden. Es gilt,
den deutschen Impressionismus stärker zu um-
grenzen, seine Besonderheit nachzuweisen,
seine Verbindung mit der deutschen Kunst der
Vergangenheit klarzustellen.

Der französische Impressionismus war eine
Neuerweckung der antiken Kunst. Unter an-
tiker Kunst — im weitesten Sinn — verstehn
wir die Gestaltung einer bereits vollständig er-
kannten, einer schon problemlos gewordenen
Welt. Der antike Mensch begreift die Erde,
reiht sich selbst in die Erde ein, — und so sehr
ist ihm das ganze Leben selbstverständlich, daß
er auch die Götter verirdischt. Er ringt nicht
mehr um das Problem Welt ; vielmehr zwingt
er alles, was ihn umgibt, in eine Formel, findet
aus allen Einzelfällen den Typus, kurz —: er
gibt Synthese. Dieses Prinzip (das Prinzip der
freiwilligen Beschränkung im Irdischen und der
synthetischen Gestaltung dieses Irdischen) —
es ist das große Erbe, das die Antike der Welt
hinterlassen hat. An erster Stelle haben es die
Italiener übernommen, die infolge ihrer Ab-
stammung dazu am prädestiniertesten waren.
Giotto, Masaccio, Raffael —: sie sind ohne die
Antike undenkbar. Später aber ging dieses
Prinzip auf die ganze lateinische Rasse über.

Der Deutsche aber ist Problematiker. Er
leidet an der Welt, er leidet am Leben, und
wird niemals darin naiv eingegliedert sein. Aus
dieser unhaltbaren Position gibt es für ihn nur
zwei Auswege: der erste führt ihn von dieser
irdischen Existenz fort, er läßt ihn die Erlösung
in der Sehnsucht nach einem andern, zweiten
Dasein, in der religiösen Extase suchen —:
das Resultat ist die Gotik, die Inkarnation
deutscher Weltgestaltung. Der zweite Weg
aber bildet aus der Not eine Tugend, er führt
nicht mehr aus dem Problem fort, sondern
macht es, und damit das Denken überhaupt,
zum Selbstzweck. Beide Auswege aber lassen
eine Synthese der Erscheinungen nicht zu, viel-
mehr führen sie zur unaufhörlichen Auseinan-

dersetzung mit diesen Erscheinungen, also zum
geraden Gegenteil: zur Analyse.

Als nun zu Beginn des 19. Jahrhunderts die
Kunst des Empire auszuspielen begonnen hatte
und in allen Nationen die Forderung nach einem
neuen intensiven Naturstudium sich bewußt
oder unbewußt geltend machte, — da leisteten
die lateinischen Nationen an erster Stelle Ge-
folgschaft. Denn diese Forderung entsprach
ihrer ganzen Wesensart, entsprach den antiken
Traditionen, die sie im Laufe der Jahrhunderte
niemals ganz vergessen hatten. Und so setzt
in Frankreich allseits ein neues Naturstudium
ein, und die ersten Vorläufer des späteren Im-
pressionismus , der das antike Prinzip zum
vollen Siege führen sollte, treten in Aktion.

Was geschieht nun gleichzeitig in Deutsch-
land? Auch hier wird der Naturanschluß
schließlich offen gefordert. Während aber der
romanische Sinnenmensch schon mit beiden
Beinen breitspurig in der neuen Arbeit steht,
hindert den Deutschen seine Metaphysik und
seine Spekulation. Und so kommt es, daß Otto
Runge, der noch heute als der erste deutsche
Realist gepriesen wird, in Wirklichkeit keine
objektive Naturannäherung, sondern doch nur
(ihm selbst unbewußt) eine neue Gotik wollte.
Während er die Landschaftsmalerei als den
Beginn der zu schaffenden neuen Kunst emp-
fiehlt, ist er doch nicht imstande, die Land-
schaft als Landschaft zu erfassen, sondern sieht
in ihr doch nur wieder Symbole menschlicher
Empfindungen. Wie er ja von Dresden, wo
sich seine Anschauungen im Verkehr mit Tieck
gebildet, schreibt: „Die Landschaft bestände
nun natürlich in dem Satze, daß die Menschen
in allen Blumen und Gewächsen, und in allen
Naturerscheinungen, sich und ihre Eigenschaften
und Leidenschaften sähen."

So geht der Intellekt des Deutschen unauf-
hörlich neuen Entwicklungen zu. Doch sein
Formgefühl und sein Formkönnen —: sie blei-
ben dabei im Hintertreffen. Bis endlich jen-
seits des Rheins die Bewältigung der Erde, all
ihrer Gestalt- und Lichtprobleme gelungen ist,
bis die Kraft der handwerksnüchternen Impres-
sionisten auszustrahlen und Feuer zu fangen
beginnt. Nun nimmt der Deutsche, was eine
glücklicher irdische Veranlagung ihm vorweg-
gearbeitet hat, schnell auf. Aber — und hier
liegt der springende Punkt, in dem alle Diffe-
renz eingeschlossen ist — diese Anlehnung ist
kein Aufgeben des Eigenen. Wohl wird die

XIX. Januar 1916. 8
 
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