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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 37.1915-1916

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Deutsche Nadelkunst nach dem Kriege
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https://doi.org/10.11588/diglit.8533#0117

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NachdennapoleonischenKriegenwarDeutsch-
land durch zahllose Opfer an Gut und Blut
aufs tiefste erschöpft. In dieser traurigen Zeit er-
lebte seltsamerweise die Stickerei eine Blüte,
wie kaum je zuvor. Nichts ist so bezeichnend
für die Epoche des Biedermeier als die unzähl-
bare Menge gefühlvoller und farbenfroher
Stickereien, mit denen damals Kissen und
Decken, Schirme, Börsen, kurz fast jeglicher
Gegenstand geschmückt worden ist. Die
sch wach-flackernde Lebenslust, der ein weiteres
Arbeitsfeld noch versagt war, suchte und fand
einen Trost im Schmuck des Heims. Man freute
sich wie der Genesende, der mit knapper Not
dem Tode entgangen, an jedem Blümchen und
Gefühlchen. Die Biedermeierzeit stand unter
dem Zeichen der Frau, der handarbeitenden
Frau. Die unschuldige Schwärmerei der Ro-
mantiker blühte am üppigsten in den Kaffee-
stuben und Stammbüchern dichtender Frauen.

Wartet unser nach dem Weltkriege eine neue
Epoche der Erschöpfung, der bescheidenen
Schwärmerei, der hausfraulichen Tugenden?
Ich mag es kaum glauben.

Es liegt eher die Gefahr vor, daß im Gegen-
satz zur Biedermeierzeit unter der harten Not-
arbeit der Sinn für die leichten sentimentalen
Künste der Nadel geschwunden ist.

Gewiß wird sich die Entwickelung nicht
wiederholen, aber die Stickerei als Kunstge-
werbe ist in unserem häuslichen und wirtschaft-
lichen Leben denn doch zu fest verankert, als
daß ein momentaner Wandel der Empfindungen
sie so rasch entwurzeln könnte. Wenn nach

Beendigung des Krieges alle Kräfte sich bis
zum Springen spannen, um möglichst rasch die
Schädigungen zu überwinden und die alte Lei-
stungsfähigkeit wieder zu gewinnen, ja über sie
hinauszuwachsen, so geschieht das nicht allein
zur Befriedigung der nackten Notdurft. So not-
wendig es ist, zuerst für Unterkunft und Nahrung
zu sorgen, die Verantwortlichkeit vor uns selbst,
unseren Gästen und Kindern verlangt ebenso
dringend die Schaffung des schönen Heimes.
Das deutsche Haus will sich mehr und mehr
erneuern, das Kleid der Frau macht eine tief-
greifende Umgestaltung durch. Überall ist die
S t i c k e r e i als Helferin wie Krone nötig. Vor der
Kulturgeschichte hätte sie es zu verantworten,
wenn sie jetzt nicht ihre Schuldigkeit täte.

Für diese großen Aufgaben, die der deut-
schen Nadelkunst warten, wird sie an der Darm-
städter Zeitschrift „Stickerei- und Spitzen-
Rundschau" eine treubewährte Mitarbeiterin
haben. In ihren 16. Jahrgang tritt sie jetzt ein
und hat sich aus unscheinbaren Anfängen zu
stattlichen bilderreichen Heften ausgewachsen,
die von den Höchstleistungen deutscher Sticke-
rei- und Spitzenkunst die würdigste Vorstellung
geben. — Zugunsten der durch den Krieg in
ihrem Erwerb beschränkten Nadelkünstlerinnen
veranstaltet die „Stickerei- und Spitzen-Rund-
schau" eine Reihe von Preisausschreiben,
deren erstes im Oktoberheft mitgeteilt wird.
Es betrifft Entwürfe für Spitzendecken
unter Verwendung von Madeirastickerei.
Näheres ist aus dem Anzeigenteil zu ersehen,
ebenso über den reichen Inhalt des Heftes. —

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