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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 37.1915-1916

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Otto, Karl Heinrich: Dreierlei Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.8533#0244

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Dreierlei Kunst.

auch der Liebe folgen, hat gerade das letzte
Jahrzehnt uns besonders deutlich gezeigt. Da
nicht alle Künstler Genies sind, verbleibt der
Künstler des Durchschnitts auch nur besten
Falles Tatmensch von der Rangstufe irgend
eines wegen der Erfüllung von Trieben arbei-
tenden Berufsmenschen. Demgemäß haben wir
auch eine gestaffelte Kunst: eine, die ledig-
lich gewissen Instinkten entspringt, handwerk-
mäßig und spießbürgerlich anmutend, sie wendet
sich immerhin an das Volk in gutem Sinne;
eine, die, mit den Gebildeten Fühlung nehmend,
geistig ringt, schöngeistig sich äußert, Zeit-
strömungen folgt, mit deren Werken sich na-
mentlich auch die Kunstschriftsteller eingehend
befassen, um Richtungen festzustellen, und
dann die dritte, die wahrhaft große Kunst, die,
unbekümmert um ihre eben genannten dienen-
den und frohnenden Schwestern, von den Aus-
erwählten der Menschheit irgendwo und zu
irgendwelcher Zeit und in irgendwelchem Vor-
wurf und Stoff in weihevollen Stunden für die
Menschheit erneut das Feuer vom Himmel holen
läßt. Die Künstler der zuerst genannten Be-
tätigung erwerben und leben; die der zweiten
Art streben und schwelgen; die an letzter Stelle
genannten ringen und opfern sich; ihrer sind
die Geschichts-, Welt- und Menschheitwerte.

Bis diese als solche erkannt werden, sind ihre
Erzeuger oft lange dahin. Ihre Werke wirken
aber nach wie heilige Bücher, ihr Geist umwallt
den Erdball. Und wenn diesen Werken Gefahr
oder gar Vernichtung droht, dann erzittert die
Menschheit in ihren tiefsten Gefühlen.

So sprechen ägyptische Königsbilder zu uns,
so ein griechischer Tempel und ein gotischer
Dom, die Kreuzigung von Matthias Grünewald,
das jüngste Gericht von Michelangelo und sein
Petersdom, so auch eine Madonna von Dürer
oder ein Totentanzbild von Rethel.

Nun brüllen die Geschütze über Länder und
Meere und irgendwo zittert ein Rest mensch-
lichen Rücksuchens nach Gott um jene Werke.
Und vielen andern tut sich die Kunst des Un-
sichtbaren auf, sie flüchten sich zu den heiligen
Büchern, zu Beethovens Symphonien, zu Goe-
thes Faust, aus denen die Werke des Sichtbaren
die Seele erhalten und die Sterbenden und
Helden des Schlachtfeldes das ewige Leben
empfinden. Dreierlei Kunst, dreierlei Leben. Es
geht wie mit den drei Ringen Nathan des Wei-
sen dabei zu: jeder glaubt den echten Ring zu
besitzen und versucht die anderen zu über-
zeugen, daß dem so sei.

Dreierlei Kunst, dreierlei Maß, dreierlei, um
Menschen närrisch oder selig zu machen, h. o.

SEPH WACKERLE—BERLIN. TUR-BEKRÖNUNG »E.XGF.i. mit kCIXHORN«
 
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