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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 37.1915-1916

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Müller, Friedrich: Die Anfänge der Geschmacksbildung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8533#0268

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Die Anfänge der Gcschmacksbildung.

Das Kind empfindet die Kleidung wohl zunächst
als einen Schmuck; es ist die erste Gestaltung
einer notwendigen Materie, die das Kind be-
wußt als solche empfindet und daher auch nach
ihrem Werte als schön oder häßlich beurteilt.

Hier setzt nun bewußt oder unbewußt die
Einwirkung der Mutter auf die weitere Ge-
schmacksbildung des Kindes ein. Denn je nach-
dem sie die rege Aufmerksamkeit des Kindes
auf die Form des Kleides im ganzen (sagen wir
Zweckmäßigkeit des Schnittes, Gediegenheit
des Stoffes) oder auf unnötigen Putz wie Spitzen,
Bänder und dergl. lenkt, wird sich das Kind
gewöhnen, auch später das Wesentliche und
Große oder das Kleine, Nebensächliche zur
Beurteilung zu benutzen. In zweckmäßiger, ge-
sunder Kleidung, die deshalb nicht nüchtern zu
sein braucht, wächst das Kind sicher auch in
einen gesunden und gediegenen Geschmack
hinein, ohne hausbacken zu werden, während
das aufgeputzte Äffchen eben sein Leben lang
nichts anderes werden wird. Die ursprüng-
lichen Eindrücke können vor allem bei Mäd-
chen bedeutend verstärkt werden, wenn sich
das Kind selbst an die Gestaltung der Kleidung
etwa seiner Puppe heranmacht. Hier kann die
Mutter darauf hinweisen, was notwendig und
zweckmäßig und darum schön ist und was als
unwesentlich fortbleiben oder doch erst in
zweiter Linie berücksichtigt werden muß. Auch
kann neben dem Formensinn das Verständnis
für Farbenharmonie geweckt werden, indem
man aufmerksam macht, daß gewisse Farben in
der Kleidung sich vertragen, andere aber nicht.
Als weitere Gegenstände, an denen sich der
Geschmack unserer Kleinen übt, kommt sodann
allerlei Spielzeug in Frage, wie Holzfiguren,
Bilderbücher, Puppenstuben und dergl. mehr.
Wir besitzen ja heute soviel wirklich schöne
Spielsachen, daß ein Ereifern gegen unzweck-
mäßige Spielsachen als einer Gefahr für den
guten Geschmack, unnötig ist. Viel wichtiger
als die sorgfältige Auswahl des gekauften Spiel-
zeugs ist die Überwachung des eigenen Gestal-
tungstriebes, wie er schon bei der Puppen-
toilette zu Tage tritt. Wenn der Junge z. B.
Häuser baut oder das Mädchen seinen Kuchen
backt, so muß auch hier darauf geachtet wer-
den, daß das Kind den Hauptzweck erfaßt und

gestaltet und sich nicht durch irgend einen
Nebenzweck verleiten läßt, also etwa, daß der
Knabe mit seinem Baukasten vor allem richtige
Konstruktionen ausführt, nicht auf unwichtige
Verzierungen sein Augenmerk richtet, das Mäd-
chen in seinem Puppenhaushalt weniger auf
Näschereien als auf nahrhafte Speisen Sorge hat.

Als letztes Objekt dieser ersten Jugendjahre,
die aber schon zum reiferen Zustande überleiten,
sei schließlich noch die Einrichtung des Heimes
und die Ausgestaltung seiner näheren Um-
gebung erwähnt. Es ist klar, daß eine solide,
einfache aber doch schöne, d. h. im höchsten
Sinne zweckentsprechende Einrichtung von
großem Einfluß auf die Ausbildung des Ge-
schmackes ist. Das Kind ist gewohnt, alles nach
sich und seiner nächsten Umgebung zu beur-
teilen. Eine Ausstattung, die auf äußerlichem
Schein und Prunk beruht, wird auch den Ge-
schmack des darin Aufwachsenden veräußer-
lichen, während ein geschmackvoll eingerich-
tetes Heim auch zu echtem Geschmacke erzieht.
Dabei kommen weniger eigentliche Kunstgegen-
stände in Frage wie Bilder und Plastiken, die
das Kind kaum beachtet; vielmehr die täglichen
Gebrauchsgegenstände, Möbel, Geschirr, Vor-
hänge und vor allem der Gesamteindruck, der
Stil des Ganzen, wenn wir das gefährliche Wort
gebrauchen wollen. Das wird für den bleiben-
den Eindruck maßgebend sein, ob die Wohnung
schlicht oder prunkvoll, ruhig oder überladen,
einheitlich oder gestückelt, gediegen oder falsch
ist. Denn diese ist der Ausdruck einer über-
tünchten Scheinkultur, wo jene ein echtes, aus-
dauerndes Leben offenbart. Wer inmitten von
Surrogaten aufwächst, wird sich auch im spä-
teren Leben an die Fälschung halten, wogegen
das Kind gediegener Kultur selbst zu einem
Menschen mit gutem Geschmack heranwächst.

Hier liegt nun meiner Ansicht nach das Haupt-
arbeitsfeld, das die Frau als Mutter in der Er-
ziehung zu beackern hat, eine Arbeit, mit der
sie beginnen muß, längst ehe sie Mutter ist.
Eine Frau, die das Haus geschmack-
voll ausgestaltet, das ihren Kindern
ein Heim werden soll, tut für deren
Erziehung mehr als der berufenste
Lehrer in Kunstgeschichte zu tun
vermag...... Friedrich Müller—günterstal.

PROFESSOR
HOFFMANN.

BROSCHF.
IN SILBER.
 
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