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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 37.1915-1916

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Hausenstein, Wilhelm: Vom Künstler und von der Form
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https://doi.org/10.11588/diglit.8533#0402

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Vom Künstler und von der Form.

PROFESSOR WII.H. TRUBNKk KAR 1.SRI.'HK.

»BADEPLATZ AM STARNBERGER SEE« (1912).

der Dinge, also nichts als das, was man eben
nur ihre Formalität nennen kann, wer aus-
schließlich in der Wahrnehmung der sinnenfäl-
ligen und in ihrer Sinnenfälligkeit irrational be-
deutsamen oder wohl auch logisch bezwingen-
den Formalität zu leben gewohnt ist, der ist
ein Künstler. —

Es ist hoffnungslos schwierig, das Problem
positiv zu bestimmen. Man könnte es annähernd
vielleicht nur negativ bezeichnen: Kunst ent-
steht bloß da, wo das Verhältnis des Menschen
zum ganzen Leben sehr anders ist als bei uns,
den zerebral und unsinnlich erzogenen Laien.

Was dieser zunächst scheinbar leere Satz
umschließt, läßt sich einigermaßen alsbald von
jedem Laien ermessen, der seine eigene Art,
zu sein, mit dem Charakter der Existenz eines
Künstlers vergleicht. Die Künstler sind anders
als wir. Das Nächste, das etwa auffällt und das
sich vom Laien aus bemessen läßt, ist die Weise
des Künstlers, zu denken und sich zu äußern.
Bei ihm scheinen Gedanke und Wort nicht Er-

gebnisse systematisch verbindenden Denkens.
Vielmehr muten sie an wie Einfälle, fast wie
Sprünge. Sie sind Geschenke der Phantasie.
Sie haben auch den Charakter des Unbewußten
und des Zufälligen. Sie sind herabgestreute
Launen des guten Glücks. Oft ist es beim
Künstler, als sei eine Blume, ein Baum, ein Tier
redend geworden. Man weiß nicht, woher der
Pflanze und dem Tier die Gabe kommt, noch
wohin sie eigentlich zielt, noch ob sie einen
schulmäßig faßbaren Sinn bringen kann. Nichts
scheint ja im Zusammenhang gemeiner Logik
zu stehen. So denkt und spricht der Künstler.
So etwa lesen sich die Briefe van Goghs. Aber
je weniger Systematisches, Zerebrales und Be-
wußtes in den Gedanken und Worten der
Künstler ist, desto voller und überzeugender
— man möchte sagen blutiger und fleischiger —
sind ihre Gedanken und Worte. So bestimmt
sind sie, so gänzlich unbeirrt von der Möglich-
keit schulmäßiger Einwände, so über die De-
batte erhoben, so unwiderleglich von Natur,
 
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