Kunstpatriotismus.
nach zehn Jahrhunderten reicher Geschichte
immer noch wiederholen, daß Frankreich und
die französische Kunst durch das Studium des
Auslandes nur gewinnen können; daß die
Furcht vor fremdem Einfluß das untrügliche
Kennzeichen geschwächter Geister ist und daß
ein gesunder Geist, seines Persönlichen sicher,
fremden Gedanken gerne Einlaß gewährt, um
ihre nutzbaren Bestandteile aufzunehmen und
ihnen so ein Leben von größerer Kraft und
Dauer zu geben? . . . Wenn die Rückkehr zur
französischen Tradition nur in der Versteinerung
besteht, wenn sie zum Bett des Prokrusteswird,
wenn unsere ganze Vergangenheit, der Prunk
unserer Kathedralen, die Geistesschärfe eines
Montaigne, die Kraft eines Pascal, der geistes-
klare Rausch eines Delacroix uns nicht geradezu
vorschreiben, frische Luft mit vollen Lungen
einzuatmen, dann soll man nur die Barbaren
herbei rufen und wir wollen ihnen die Türen
noch weiter öffnen, wir, für die das gelobte
Land nicht das Reich des juste milieu ist!" —
All das — wie oft wurde es in den letzten
Jahren in Frankreich gesagt! — ist nun nicht
mehr wahr. Man könnte seitenlang fortfahren
in der Anführung von ergötzlichen Widerrufen,
die Frankreichs Schreibevolk nun allen früheren
günstigeren Beurteilungen deutscher Dinge an-
gedeihen läßt. Hätte es noch an Beweisen ge-
fehlt für die Anschauung der neueren Philoso-
phie, daß der menschliche Intellekt Diener des
Willens (des Affektes) sei, sie könnten jetzt zu
Hunderten gesammelt werden.
Es läge nun für uns besonders nahe, der
schweren Schädigung zu gedenken, die Frank-
reich durch diese patriotische Geistesverdun-
kelung gerade auf kunstgewerblichem Ge-
biete sich selber zufügen wird. Freilich wird
ja der Friede das Meiste von dem, was jetzt
mit Wollust eingerissen wird, wieder aufbauen.
Sicher ist aber, daß noch sehr lange Zeit in
Frankreich alle Bestrebungen, das kunstgewerb-
liche Schaffen in modernem (das heißt deut-
schem) Sinne zu erneuern, der vaterländischen
Phrase als Hemmung begegnen wird. Aber das
soll hier außer Erörterung bleiben. Nur möge,
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nach zehn Jahrhunderten reicher Geschichte
immer noch wiederholen, daß Frankreich und
die französische Kunst durch das Studium des
Auslandes nur gewinnen können; daß die
Furcht vor fremdem Einfluß das untrügliche
Kennzeichen geschwächter Geister ist und daß
ein gesunder Geist, seines Persönlichen sicher,
fremden Gedanken gerne Einlaß gewährt, um
ihre nutzbaren Bestandteile aufzunehmen und
ihnen so ein Leben von größerer Kraft und
Dauer zu geben? . . . Wenn die Rückkehr zur
französischen Tradition nur in der Versteinerung
besteht, wenn sie zum Bett des Prokrusteswird,
wenn unsere ganze Vergangenheit, der Prunk
unserer Kathedralen, die Geistesschärfe eines
Montaigne, die Kraft eines Pascal, der geistes-
klare Rausch eines Delacroix uns nicht geradezu
vorschreiben, frische Luft mit vollen Lungen
einzuatmen, dann soll man nur die Barbaren
herbei rufen und wir wollen ihnen die Türen
noch weiter öffnen, wir, für die das gelobte
Land nicht das Reich des juste milieu ist!" —
All das — wie oft wurde es in den letzten
Jahren in Frankreich gesagt! — ist nun nicht
mehr wahr. Man könnte seitenlang fortfahren
in der Anführung von ergötzlichen Widerrufen,
die Frankreichs Schreibevolk nun allen früheren
günstigeren Beurteilungen deutscher Dinge an-
gedeihen läßt. Hätte es noch an Beweisen ge-
fehlt für die Anschauung der neueren Philoso-
phie, daß der menschliche Intellekt Diener des
Willens (des Affektes) sei, sie könnten jetzt zu
Hunderten gesammelt werden.
Es läge nun für uns besonders nahe, der
schweren Schädigung zu gedenken, die Frank-
reich durch diese patriotische Geistesverdun-
kelung gerade auf kunstgewerblichem Ge-
biete sich selber zufügen wird. Freilich wird
ja der Friede das Meiste von dem, was jetzt
mit Wollust eingerissen wird, wieder aufbauen.
Sicher ist aber, daß noch sehr lange Zeit in
Frankreich alle Bestrebungen, das kunstgewerb-
liche Schaffen in modernem (das heißt deut-
schem) Sinne zu erneuern, der vaterländischen
Phrase als Hemmung begegnen wird. Aber das
soll hier außer Erörterung bleiben. Nur möge,
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