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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 47.1920-1921

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Uhde, Wilhelm: Henri Rousseau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9122#0034

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HENRI ROUSSEAU.

VON WILHELM UHDE.

Noch heute kann es geschehen, daß einige
von denen, die sich berufsmäßig mit Kunst-
geschichte beschäftigen, die Liebermann einen
großen Künstler, Nolde einen großen Maler
nennen, mitleidig aber wohlwollend lächeln,
wenn von Henri Rousseau die Rede ist.
Man spricht nicht vom Brillenschleifer Spinoza,
vom Regierungsrat E. T. A. Hoffmann, vom
Minister Goethe, aber man liebt es, vom „Zöll-
ner" Rousseau zu sprechen. Die also tun,
möchten betonen, daß sie diesen Maler nicht
in die Kunstgeschichte eingereiht, sondern als
einen abseitigen, sympathischen Dilettanten,
dessen Leben und Werk mehr seltsam als wert-
voll waren, betrachtet zu sehen wünschen.

Ihr Urteil ist von einer begeisterten Künstler-
jugend, einer Generation feinsinniger Sammler,
einer europäischen Gemeinde innig und groß
empfindender Menschen verworfen worden und
das Mitleid, das sie spenden, kehrt sich gegen
sie selbst und auf ihren Ruf „der treffliche
Zöllner", klingt spöttisch als Echo zurück: „der
wackere Herr Doktor"!................

Es besteht die Möglichkeit, die absolute und
die zeitliche Bedeutung eines Künstlers, das
heißt sein Niveau und das Maß seiner histori-
schen Wirkung zu bestimmen, und zwar durch
Untersuchungen, die sich auf seine künstlerische
Qualität und auf seinen Stil beziehen.

Man muß sich an den Gedanken gewöhnen,
daß die Qualität in der Malerei der Völker eine
verschiedenartige ist. Die eines Vuillard hat
mit der eines späten Thoma so wenig zu tun
wie der Geschmack einer Putzmacherin mit dem
Gemüt des Wandervogels. Die Qualität eines
Renoir ist nur auf dem Original zu finden, die
Reproduktion wirkt vielfach als bürgerlicher
Kitsch. Böcklins Qualität tritt nur auf den Fotos
in die Erscheinung, die Bilder selbst empfinden
wir als Brutalitäten. Als man in Paris im Salon
d'Automne einen Saal mit Bildern von Marees
ausstellte, langweilten sie alle Welt. Denn
während die Malereien ringsherum ihre Qualität
in der Oberfläche zeigten, war diese bei Marees
reizlos und die Qualität lag irgendwie hinter
den Bildern versteckt. Sie dort zu suchen und

XXIV. Ott.-Nov. 1920. 3
 
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