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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 47.1920-1921

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Uhde, Wilhelm: Henri Rousseau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9122#0035

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Henri Rousseau.

nachzufühlen, war man aber in Paris nicht ge-
wöhnt. Zerschneidet man einen Corot, Monet
oderCezanne, so erhält man wunderbare Stücke
Leinwand, von denen dieselbe Qualität unzer-
störbar leuchtet wie vom Ganzen. Zerschneidet
man einen Schwind, Thoma, Münch, Heckel, so
hat man völlig reizlose Fetzen in Händen. Wo-
durch indessen nichts anderes bewiesen wird,
als daß die Qualität hier von der Schere nicht
ergriffen werden kann, da sie nicht in der ma-
teriellen Oberfläche liegt.

Die nordische Phantasie ist nicht an Materie
gebunden, sondern ergötzt sich frei mit Be-
griffen; die kühnen Spekulationen durchbrechen
die Schranken von Raum und Zeit und dringen
in die Reiche des Unendlichen und Ewigen vor.
Die deutsche Rasse schenkte der Welt die 9.
Symphonie Beethovens, die Idee des Über-
menschen und die Erkenntnis der schmerzhaften
griechischen Seele aus der Analogie des eigenen
Wesens. — Die französische Seele hat alle
Eigenschaften, die aus einer guten Balance

menschlicher Funktionen resultieren, Taktge-
fühl, Geschmack und Klarheit: Tugenden, die
dem zugute kommen, was im besten Sinne die
Oberfläche des Geistes ausmacht. Ihre Phantasie
ist beschränkt, ist an Raum und Materie ge-
bunden und die Materie ist begrenzt.

Während die romantisch-gotisch gestimmte
deutsche Seele, nach Höhe und Tiefe zielend,
in Architektur und Musik den adäquaten Aus-
druck fand, so die klassisch-impressionistische
der französischen Rasse, auf der Oberfläche
sich einrichtend, den ihren in der Malerei.
Frankreich schenkte der Welt das Grau Corots,
das Braun Manets, das Schwarz Henri Rousseaus.

Von diesen drei Geschenken ist das letzte
das wertvollste. Denn während die beiden
andern aus dem Gefühl der Rasse kommen,
erwächst dieses aus dem Herzen der Menschheit.

Der Klang aus Braun, Grün und Rosa auf
der „Olympia" Manets ist gewiß nicht der Pa-
lette entsprungen — wie der kalte Virtuosen-
witz des Berliner Impressionisten —, er kommt
 
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