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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 47.1920-1921

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Ewald, Reinhold: Hans Baldung, gen. Grien
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https://doi.org/10.11588/diglit.9122#0046

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HANS BALDUNG, GEN. GRIEN.

Als im Winter des Jahres 1919 als größtes
. Ereignis auf künstlerischem Gebiet in dem
Unglück der Zeit der Grünewald-Altar des
Klosters Isenheim in der Alten Pinakothek in
München ausgestellt war, schlug dieser Gigant
mit seiner unbändigen Ausdruckskraft denersten
Saal der Pinakothek in die Regeln und den Kanon
einerZeitgemeinsamkeit, die süddeutschen wahr-
haftig an sich großen Meister — vor und um
Dürer — in eine große Stilgemeinsamkeit.

Man floh den Riesen, merkte aber erst recht
vor Rubens und Van Dyck seine übermensch-
liche Kraft und wurde immer wieder von ihm
angezogen. Und doch gibt es einen ihm bluts-
verwandten, ebenbürtigen deutschen Meister.

Geht man durch die altdeutschen Säle der
Darmstädter Galerie, durch die altdeutschen
des Städelschen Instituts in Frankfurt, schaut
man sich die recht ansehnliche Sammlung des
Schlosses in Aschaffenburg an, so stößt man
auf einen ganz ungebärdigen, unbändigen Mei-
ster — dem Geiste nach ein Asiate: in Aschaf-
fenburg eine fabelhafte „Kreuzigung", — zwi-
schen dem Gelb, Blau, Rot der Stilisten plötzlich
ein fahles Neapelgelb, ein Giftgrün und kaltes
Bleigrau —, in Frankfurt neben glänzenden
Leistungen, wie dem Aussätzigen des Dürer,
plötzlich ein Bild „Hexen" aus Schwefelgelb
und Brandrot mit komplementärfarbig grau-
violettenKörpern, inDarmstadt, gegenüber einem
relativ stupiden Holbein und neben schönsten
Bilden von Cranach, plötzlich ein Bild mit einem
vergeistigten, violettgraublauen und zitternd
gelben Himmel, eine frostig kaltweiße, kleine,
bebende „Magdalena", mit einem schwebenden
Christus in einer Rühr-mich-nicht-an-Hoheit.
Dies sind Werke von Hans Baidung Grien.

XXIV. Okt.-Nov. 1920. 4

Man weiß nicht viel über sein Leben. (Ich
bin nichts weniger als Forscher und nur auf
meine Eindrücke angewiesen.) Er soll zwischen
1475 und 80 in der Nähe von Straßburg geboren
sein, aus süddeutscher Familie, später in der
Werkstatt Dürers gearbeitet haben und könnte
auchmitGrünewaldinBerührunggekommensein.

Die Hauptzeit seines Lebens brachte er in
Straßburg und dann in Freiburg zu, wo er sein
Lebenswerk in den Bildern des Hochaltars
des Münsters schuf. Später soll er Bürger und
Ratsherr in Straßburg gewesen sein.

Sein außerordentlich starkes Naturerlebnis
in jedem Bild, auch in den kanonisch gebundenen
religiösen Themen, seine Profanbilder, die er
wohl für sich selber oder irgendwelche Patrizier
malte, wie die „Musik", die „Wahrheit", „Her-
kules und Antäus" in Cassel, die — von der
Kirche unabhängig — zu einer religiösen Natur-
verehrung in pantheistischem Sinne anregen,
wie wir sie heute suchen, im Drange zum großen
Thema zu kommen, müde, den „Johannes auf
Pathmos" oder Düsseldorfer und Münchner
Heiligen-Malerei wiedergekäut zu sehen, dies
alles läßt ihn in unserer Zeit plötzlich im Brenn-
punkt erscheinen, insbesondere, da seine male-
rischen Mittel kaum gereinigter sein können
und seine Schöpferkraft in Farbe, Form und
Hell-Dunkel umfassend ist.

Dieser pantheistische Zug, der in Böcklin und
den Tierbildern Marcs — zumal in den „Wöl-
fen" — Blutsverwandte getroffen hat, der bei
geringerem Ausmaß des Talents in der Mytho-
logie stecken geblieben ist, aber doch Werke
wie das „Spiel der Wellen", den „Pan im Schilf",
das „Schweigen im Walde" und den Akt der
„Andromeda" hervorgebracht hat, schließt bei
 
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