Hans Baidung, gen. Grien.
DETAIL AUS DER »HEILIGEN NACHT« 3. AUSSENFLÜGEL DES HOCHALTARS VON HANS BALDUNG.
Raum, sondern tritt wie ein Sammelgestirn am
Firmament auf der linken Hälfte der hohen Tafel
etwas nach unten verschoben in dunkler Leere
'auf» das Ganze scheint dadurch in geheimnis-
voller Stille zu schweben.
Leise zuckend hängt das Lichtgestirn durch
die rieselnden Zöpfe und die Kopfarabeske des
Joseph wie das Netz einer Spinne in leicht
kubischem Raum. Von unglaublicher Wirkung
wie eine große stille Pause die rechte Hälfte
■des Hochformats leer lassend. Man versteht
am besten das überragend Geistige und die
Disziplin im Vergleich mit etwa der „Ausgießung
des heiligen Geistes" von Tintoretto. Eng
verwandt ist es großer früher chinesischer Kunst.
Eine der allerstärksten Äußerungen seines
Geistes ist die „Verkündigung", das erste Bild
links außen am geschlossenen Altar in Freiburg.
Wie zwei Windströme, die gegeneinander
wehen und sich verfangen, strömen zwei Fugen
von ganz verschiedener Art der Farbe kubisch
im Raum. Die eine Farbfuge: die irdische Maria
in kühl keuschem Weiß und Grünblau vor
brennendem Rotzinnober in warm gedämpftem
Raum —, der überirdische Engel dagegen, aus
fahlgelber Lichtflut, die über graulila Gestein
kommt messinggelb belichtet, mit komplementär-
grünspanfarbigen Schatten und unwirklichen
veilchenfarbigen Flügeln. Der Kopf des Engels
violett tintig, der derMaria der Wirklichkeit nahe.
Der Gegensatz dieser Farbfluten ist von so
großer psychologischer Wirkung, daß es nur in
dem Verkündigungsbild des Isenheimer Altars
eine Parallele dazu gibt. Die Farbströme liegen
nicht flächig sondern kubisch im Bildraum, den
sie formen.
Ähnliche Empfindungen löst für mich Bach-
sche Musik aus, wenn ein ganzer Strom von
Tönen plötzlich um einen halben Ton erhöht oder
erniedrigt in eine ganz neue Ausdruckssphäre
geleitet wird, wie das in der Matthäuspassion
z. B. oder in Kantaten des Öfteren vorkommt.
Als zweites Bild bei geschlossenem Altar die
Heimsuchung der Maria: in wundervoller blauer
Landschaft die weiche Linie des jungen schwan-
geren Leibes fast schwebend, in anmutiger
Jungfräulichkeit in gelbweißem Gewand mit
kaltgrünem Mantel. Links daneben in Rot und
DETAIL AUS DER »HEILIGEN NACHT« 3. AUSSENFLÜGEL DES HOCHALTARS VON HANS BALDUNG.
Raum, sondern tritt wie ein Sammelgestirn am
Firmament auf der linken Hälfte der hohen Tafel
etwas nach unten verschoben in dunkler Leere
'auf» das Ganze scheint dadurch in geheimnis-
voller Stille zu schweben.
Leise zuckend hängt das Lichtgestirn durch
die rieselnden Zöpfe und die Kopfarabeske des
Joseph wie das Netz einer Spinne in leicht
kubischem Raum. Von unglaublicher Wirkung
wie eine große stille Pause die rechte Hälfte
■des Hochformats leer lassend. Man versteht
am besten das überragend Geistige und die
Disziplin im Vergleich mit etwa der „Ausgießung
des heiligen Geistes" von Tintoretto. Eng
verwandt ist es großer früher chinesischer Kunst.
Eine der allerstärksten Äußerungen seines
Geistes ist die „Verkündigung", das erste Bild
links außen am geschlossenen Altar in Freiburg.
Wie zwei Windströme, die gegeneinander
wehen und sich verfangen, strömen zwei Fugen
von ganz verschiedener Art der Farbe kubisch
im Raum. Die eine Farbfuge: die irdische Maria
in kühl keuschem Weiß und Grünblau vor
brennendem Rotzinnober in warm gedämpftem
Raum —, der überirdische Engel dagegen, aus
fahlgelber Lichtflut, die über graulila Gestein
kommt messinggelb belichtet, mit komplementär-
grünspanfarbigen Schatten und unwirklichen
veilchenfarbigen Flügeln. Der Kopf des Engels
violett tintig, der derMaria der Wirklichkeit nahe.
Der Gegensatz dieser Farbfluten ist von so
großer psychologischer Wirkung, daß es nur in
dem Verkündigungsbild des Isenheimer Altars
eine Parallele dazu gibt. Die Farbströme liegen
nicht flächig sondern kubisch im Bildraum, den
sie formen.
Ähnliche Empfindungen löst für mich Bach-
sche Musik aus, wenn ein ganzer Strom von
Tönen plötzlich um einen halben Ton erhöht oder
erniedrigt in eine ganz neue Ausdruckssphäre
geleitet wird, wie das in der Matthäuspassion
z. B. oder in Kantaten des Öfteren vorkommt.
Als zweites Bild bei geschlossenem Altar die
Heimsuchung der Maria: in wundervoller blauer
Landschaft die weiche Linie des jungen schwan-
geren Leibes fast schwebend, in anmutiger
Jungfräulichkeit in gelbweißem Gewand mit
kaltgrünem Mantel. Links daneben in Rot und