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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 47.1920-1921

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Ewald, Reinhold: Hans Baldung, gen. Grien
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https://doi.org/10.11588/diglit.9122#0052

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Hans Baidung, gen. Grien.

umstrahlt mit grünblauer, in stark wo-
gender Bewegung befindlicher Luft —
wie etwa Licht, Leben und Vegetation
die Erde — die drei großen schwe-
benden Gesten der Maria, des Christus
und Gottvaters. — Die Tiefe des Bild-
raumes wird von diesen drei großen
konsistenten Formmassen bestimmt.
Zwischen diesen Massen und um sie
herum wird das Auge in gleichsam
schwindelerregende labyrintische Tie-
fen geführt, aber immer wieder in den
Kontakt mit der Bildfläche der Groß-
figuren zurückgeleitet. — Es besteht
eine unglaubliche raumbauende Ener-
gie in dem Hineinsaugen in diese phan-
tastischen Tiefen und dem Zurückge-
drängtwerden in die Bildfläche der
Großfiguren oder gar vor diese durch
die in überaus phantastischer kubischer
Bewegung befindlichen, überkleinen
Körperchen der Engel, Wölkchen und
Musikinstrumente, die die Volumen
und die Gesten der Hauptfiguren ins
Riesenhafte steigern. — Kaskadenar-
tig strömen und rieseln die Sturzbäche
der Farbe, vom gelben Zenith über fahl-
gelbe, grün- und blauleuchtende Luft
mit violetten Körperchen zum leuch-
tenden Rot und Blauschwarz um das
goldene Gewand der Maria, in dessen
Fluß das Haar der Maria hineinströmt
und die wunderbar weiche Form der
Hände sich einschmiegt. — Die große
pathetische Geste des Christus ist vom
rechten Ellenbogen am Bildrande links
in einem Formstoß bis zur Krone der
Maria getrieben, das nackte rechte Bein
steht rechtwinklig dazu in edler Gerad-
heit, während der linke nackte Fuß und
der rechte Unterarm horizontal quer-
stehen : ein Gleichnis von edelster und
kühnster formaler Statik, vergleichbar
mit großen Formfugen in Chartres. —
Rechts und links je die große Verbün-
delung der kupferhäutigen Apostel in
Fluten von Gelbweiß und komplemen-
tärwirkendem Grünweiß gleich geball-
ten strömenden Energien. Alles wogt
pathetisch auf, ballt sich in den Köpfen
und Heiligenscheinen, zerrt sich in Ar-
men und Händen oder verkrampft sich
wie in dem Bild rechts mit dem wun-
derbaren veilchengrauen Gewand. Man
muß sie „Türme der Apostel" nennen,
denn keiner ist einzeln herauszuson-
dern : eine Pathetik der Form, die wirk-

»HEIMSUCHUNG« 2. AUSSENFLÜGEL DES HOCHALTARS IN FREIBURG.

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