Kunst, Geschäft und Mode.
PROFESSOR JOSEF HOFFMANN.
»KETTE« GOLD MIT ELFENBEIN
mit auch rein künstlerischen Leistungen Exi-
stenz- und Verkaufsmöglichkeiten. Wer hätte
unserer Zeit diese geduldige Beobachtung,
dieses intime Gefühl, diese großmütterliche Ge-
nauigkeit der Ausführung zugetraut, die sich
in der Silhouette zeigen, aber auch sich an ihr
erst entwickelt haben?
Die Mode ist wie ein Rausch, der uns er-
greift, Hemmungen niederwirft und zurückge-
haltene Kräfte entfesselt. Man gibt sich ihr
hin, taucht unter in der Woge der Begeisterung,
die zwiefach wirkt, berauschend und das Auge
öffnend für Werte der Ware, die bisher „über-
sehen" waren. Begeisterung ist die beste Würze
des Genusses, besonders des Kunstgenusses.
Man rede sich doch nicht ein, daß der Groß-
teil des Publikums fähig wäre, objektiv zu ur-
teilen, wenn es nicht einmal der berufsmäßige
Kritiker und Kunstwissenschaftler vermag. Wir
brauchen alle die Suggestion zum Kunstver-
ständnis ; auch zum Genuß ist guter Wille nötig,
der durch nichts so sehr gefördert wird wie
durch die Mode. —
Freilich, gewährt die Mode erst die Möglich-
keit zu reichem Schaffen, zum vollen Ausbau
einer Idee, so muß man auch ihre Schatten-
seiten in Kauf nehmen. Da ist die Schar der
Nachahmer, die sich unweigerlich sofort auf
jede erfolgreiche Neuheit stürzen, und ferner
die dunkle Gesellschaft der Ausbeuter, die sich,
von Freundschaftsbeteuerungen überfließend,
an den Künstler ketten, mit dessen Geistes-
früchten sie vielfachen Gewinn herauszuwirt-
schaften gedenken. Es ist allein die Scheu des
Künstlers vor dem Geschäftlichen, vor dem
„Verkaufen ", von der diese Aussauger leben
und meistens zehnfach besser leben als der
Künstler selbst. Darüber muß hinwegsehen
können, wer das geschäftliche Risiko nicht selbst
zu tragen gewillt ist, wer die eigene Arbeit frei-
halten will von den Unerquicklichkeiten des
Geschäftes, den mühseligen Verhandlungen mit
dem Käufer, den Besuchen, Reisen, Rückschlä-
gen. Die ganze Wucht der Krisen, die niemals
ausbleiben, pflegt viel stärker den Kaufmann
zu treffen als den Künstler, wenn dieser nur
einige Gelenkigkeit besitzt. Wer nur Silhouetten
schneidet, der ist freilich übel dran, wenn die
Mode umschlägt. Umsonst kommt dann sein
Vertreter oder Grossist zu ihm und quält ihn:
„Ja, können Sie denn nicht Rosen malen oder
Zierpuppen nähen oder Mützchen häkeln?
XXIV. Okt.-Nov. 1920. 13
PROFESSOR JOSEF HOFFMANN.
»KETTE« GOLD MIT ELFENBEIN
mit auch rein künstlerischen Leistungen Exi-
stenz- und Verkaufsmöglichkeiten. Wer hätte
unserer Zeit diese geduldige Beobachtung,
dieses intime Gefühl, diese großmütterliche Ge-
nauigkeit der Ausführung zugetraut, die sich
in der Silhouette zeigen, aber auch sich an ihr
erst entwickelt haben?
Die Mode ist wie ein Rausch, der uns er-
greift, Hemmungen niederwirft und zurückge-
haltene Kräfte entfesselt. Man gibt sich ihr
hin, taucht unter in der Woge der Begeisterung,
die zwiefach wirkt, berauschend und das Auge
öffnend für Werte der Ware, die bisher „über-
sehen" waren. Begeisterung ist die beste Würze
des Genusses, besonders des Kunstgenusses.
Man rede sich doch nicht ein, daß der Groß-
teil des Publikums fähig wäre, objektiv zu ur-
teilen, wenn es nicht einmal der berufsmäßige
Kritiker und Kunstwissenschaftler vermag. Wir
brauchen alle die Suggestion zum Kunstver-
ständnis ; auch zum Genuß ist guter Wille nötig,
der durch nichts so sehr gefördert wird wie
durch die Mode. —
Freilich, gewährt die Mode erst die Möglich-
keit zu reichem Schaffen, zum vollen Ausbau
einer Idee, so muß man auch ihre Schatten-
seiten in Kauf nehmen. Da ist die Schar der
Nachahmer, die sich unweigerlich sofort auf
jede erfolgreiche Neuheit stürzen, und ferner
die dunkle Gesellschaft der Ausbeuter, die sich,
von Freundschaftsbeteuerungen überfließend,
an den Künstler ketten, mit dessen Geistes-
früchten sie vielfachen Gewinn herauszuwirt-
schaften gedenken. Es ist allein die Scheu des
Künstlers vor dem Geschäftlichen, vor dem
„Verkaufen ", von der diese Aussauger leben
und meistens zehnfach besser leben als der
Künstler selbst. Darüber muß hinwegsehen
können, wer das geschäftliche Risiko nicht selbst
zu tragen gewillt ist, wer die eigene Arbeit frei-
halten will von den Unerquicklichkeiten des
Geschäftes, den mühseligen Verhandlungen mit
dem Käufer, den Besuchen, Reisen, Rückschlä-
gen. Die ganze Wucht der Krisen, die niemals
ausbleiben, pflegt viel stärker den Kaufmann
zu treffen als den Künstler, wenn dieser nur
einige Gelenkigkeit besitzt. Wer nur Silhouetten
schneidet, der ist freilich übel dran, wenn die
Mode umschlägt. Umsonst kommt dann sein
Vertreter oder Grossist zu ihm und quält ihn:
„Ja, können Sie denn nicht Rosen malen oder
Zierpuppen nähen oder Mützchen häkeln?
XXIV. Okt.-Nov. 1920. 13