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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 47.1920-1921

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Heckel, Karl: Unbewusstheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.9122#0181

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Unbewußtheit.

Ich habe von Anfang an nicht nur vom Schaf-
fen des Künstlers, sondern auch vom künst-
lerischen Nachschaffen des Kunstgenießenden
gesprochen. Es ist nicht so unmittelbar zu be-
greifen, daß auch dieses einem unterbewußten
Vorgang sich verdankt. Und doch ist es so.
Man versteht nur, was man schon weiß, rich-
tiger wofür die unterbewußten Vorstellungen
durch persönliche Gefühlserlebnisse gegeben
sind. Alle bewußte Erkenntnis eines Bildes
umfaßt nur dessen Erscheinung. Sein Geheim-
nis aber wird uns nur
dann erschlossen, wenn
der empfangene Bildein-
druck sich unterbewußten
verwandten Gefühlen as-
similiert. Kein Verstand,
der das Unbenennbare
willkürlich benennt, ver-
mag es von dort ins Be-
wußtsein zu rufen, son-
dern auch das nachschaf-
fendeKunstverstehen ver-
langt einen Zeugungsakt
in der Tiefe unseres We-
sens. Vollzieht er sich,
dann sagen wir wohl, wenn
die Erinnerung eigener
Gefühlserlebnisse dabei
erwacht, es sei uns „aus
der Seele gesprochen".
Aber auch, wenn es uns
als ein erstes Erlebnis er-
scheint, an das sich keine
Erinnerung knüpft, muß
sichdiesernachschaffende
Prozeß vollzogen haben;
denn er allein läßt uns, je-
dem Wort unsagbar, das
Inbild des Bildes, also
das sich offenbarende Ge-
heimnis seines Wesens er-
leben. — Konzentration
bedeutet Ausschaltung
aller bei einer bestimm-
tenBetrachtung nicht assi-
milierbarer Vorstellun-
gen. Der Wille zur Kon-
zentration mag uns be-
wußt sein, aber der Vor-
gang des künstlerischen
Nachschaffens erfolgt
ebenso unbewußt, wie
in der Seele des Künst-
lers die Erzeugung des
Kunstwerkes unbewußt
erfolgte.........k. h.

»vase« blech bemalt.
wiener werkstätte. dagobert peche.

ARCHITEKTUR. Wenn die Kunst den Men-
± \ sehen immer wieder mit besonders magi-
scher Kraft anzieht, so kommt das wohl daher,
weil sie der eigentliche Spiegel ist, der seiner
Seele gegeben wurde. Was uns aus ihr wider-
strahlt, gibt uns die faßbarste, ja vielleicht ein-
zige Rechenschaft von der rätselhaften Struktur
unseres seelischen Wesens. In den darstellen-
den Künsten sehen wir dieses Spiegelbild meist
gleichsam in mittelbaren Reflexen Widerschei-
nen, in der Architektur tritt es am ungebrochen-
sten, ich möchte sagen,
„primär" hervor. So selt-
sam es im ersten Augen-
blick klingen mag, im
architektonischen Kunst-
werk schafft der Mensch
vielleicht am unmittelbar-
sten ein Etwas nach sei-
nem Bilde. Das ist na-
türlich nicht äußerlich
gemeint, nein, was in ihr
so besonders deutlich zu-
tage tritt, das ist das Bild
der inneren Kräfte, aus
denen unser Menschen-
tum geheimnisvoll aufge-
baut ist. Sie kommen in
ihr zutage, weil sie der
Mensch instinktiv in einen
Organismus hineinverlegt,
den er beleben will. Das
eigentümliche Flächen-
und Raumgefühl, in dem
wir Menschen leben und
dem wir Ausdruck geben
in den mathematischen
Vorstellungen, die uns be-
herrschen, — das rhyth-
mische Gefühl, das in uns
wacht und ein geheimnis-
voller Künder unserer
Empfindungen wird, —
das dynamische Gefühl,
das uns innewohnt und
uns fähig macht, unsicht-
bare Kräfte zu verstehen,
— all das verlegen wir in
den Organismus des Bau-
werks. Das strahlt den
Beschauer daraus zurück,
und er empfindet es als
etwas ihm Verwandtes.

aus dem buche: fritz schu-
macher. kulturpolitik.
neue streifzüge eines ar-
chitekten. im verlag von
eugen diederichs in jena.
 
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