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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 47.1920-1921

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Niebelschütz, Ernst von: Der Mensch ohne Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9122#0243

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Der Mensch ohne Kunst.

FR. WEISSE.
ZIEGENLEDER
MIT HAND-
VERGOLDG.

sammenzugehen scheinen, ist nicht die Wirklich-
keit die wertentscheidende Instanz, sondern
etwas grundsätzlich Anderes, das was jenseits
aller möglichen Erfahrung liegt und jeder Ana-
lyse ausweicht — das große Mysterium des
menschlichen Schöpferwillens.

Dieser Sinn für das Wunderbare ist der
Menschheit, als Ganzes betrachtet, verloren
gegangen. Er ist jener indezenten Neugier ge-
wichen, die in einer vom Verstand despotisch
beherrschten Welt kein Rätsel mehr duldet.
Dem Rationalisten ist die Kunst nicht nur ent-
behrlich, er betrachtet sie mit dem typischen
Argwohn dessen, der hinter Masken und Schlei-
ern Abwege, Zaubereien, Unsauberkeiten wit-
tert. Wozu überhaupt Kunst? So sinnlos die
Frage erscheint — in seinem Munde ist sie es
nicht. Im Rahmen seiner Weltanschauung ist
die einzige Kunst, die er allenfalls gelten läßt,
die von naturalistischen Postulaten aus-

gehende. Der Impressionismus mit seiner klaren
Optik, seiner kühlen Sachlichkeit, hatte ihm
wirklich noch etwas zu sagen. Der Kunst des
Ausdrucks steht er innerlich fremd gegenüber.
Es ist rührend zu sehen, wie deren Jünger um
die moderne Seele ringen — um diese Seele,
der die mythischen Organe fehlen, die allein den
Kontakt mit einer im Unwirklichen wurzelnden
Kunst herstellen könnten. Daher die erschrek-
kende Unwahrhaftigkeit der heutigen Kunstbe-
tätigung — das Mitläufertum, die geistige Fein-
schmeckerei, die den Expressionismus doch
manchmal als ein der archaisierenden Richtung
der römischen Kaiserzeit verwandtes Reizmittel
für übersättigte Sehnerven erscheinen läßt —
nicht aber als eine aus den Tiefen des Ge-
samtbewußtsems elementar hervorbrechende
Gefühlswelle.

Jedes Kunstwerk ist zwar Persönlichkeits-
offenbarung, aber Persönlichkeit bedeutet nicht
 
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